Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
Vom Netzwerk:
werden sollte. »Die meisten Wissenschaftler versuchen, den Rest der Welt zu ignorieren, aber sie hat einen ungeheuren Schuldkomplex«, erzählt ihr einstiger Betreuer Bruce Alberts. »Sie fühlt sich schuldig, dass sie die ganze Zeit über Forschung betreiben darf und andere Menschen verhungern oder in den Krieg ziehen müssen.« Sogar in ihrer Wissenschaft entdeckt sie eine politische Moral. »Das Wunderbare, das wir in den vergangenen paar Jahren aus der Biologie gelernt haben, ist die Tatsache, dass die gleichen Gene, die gleichen Teile wieder und wieder auftauchen, von einer Art zur anderen«, erklärt sie. »Die wichtige Lehre, die wir daraus ziehen können, lautet, dass wir alle aus demselben Stoff gemacht sind. Wir sind Teil eines einzigen Netzes, und in dieser Vorstellung liegt eine gewisse Demut, die überaus angebracht ist.«
    Dr. Foe verdankt ihre facettenreiche Perspektive ihrer Kindheit: Ihre Familie zog von Wyoming zunächst nach Mexiko, dann nach England und von dort wieder in die Vereinigten Staaten zurück, während ihr Vater aus der Rechtsprechung in die Landwirtschaft und dann in den Lehrerberuf wechselte. Er war der leuchtende Held ihres Lebens. Ihn faszinierte alles, und denselben intellektuellen Wissensdurst stimulierte er auch in seinen drei Kindern. Er starb an einer Stauungsinsuffizienz des Herzens, als sie einundzwanzig war. Er fehlt ihr noch immer, und es betrübt sie, dass er nicht lange genug gelebt hat, um miterleben zu können, was sie als Taucherin ins Innerste des mikroskopischen Reiches alles entdeckte. »Er hat unsere Larvenstadien ertragen. Uns als menschliche Wesen zu erleben, blieb ihm versagt.«
    Dr. Foes unkonventionelle wissenschaftliche Karriere begann während ihrer Ehe mit Dr. Michael Dennis, einem Neurophysiologen von der University of California. Als ihr Ehemann beschloss, aus der Wissenschaft auszuscheiden und Bildhauer zu werden, entschied sich die damalige Doktorandin Foe, zusammen mit ihm und seiner Tochter Kalifornien zu verlassen und auf die kanadische Insel Denman Island zu ziehen. Aus lauter Sorge, sie könnte die Wissenschaft ebenfalls an den Nagel hängen, verhalf ihr Betreuer Dr. Alberts ihr zu einem Arbeitsplatz bei den Friday Harbor Laboratories, einer Forschungsstation von spektakulärer Schönheit nahe der kanadischen Insel. »Ich hielt es für eine unglaubliche Talentverschwendung, wenn sie da oben ihr Leben als Töpferin oder so etwas fristen würde«, erzählt er. Dr. Foe blieb auch die Zeit nach ihrer Promotion in Friday Harbor und brachte die NIH Mitte der achtziger Jahre dazu, ihr die unabhängige Mittelzuweisung zuzugestehen, die sie noch heute erhält. Sie ist inzwischen von Dr. Dennis geschieden, besucht ihn und seine Tochter jedoch regelmäßig und hat sich auf der Insel eine eigene kleine Blockhütte gebaut.
    Sie hat ihr Talent nicht verschwendet. Mit den Befunden, auf die sich ihr Ruf gründet, zeigte sie Ende der achtziger Jahre, dass es in der Entwicklung eines Embryos früh zu einer spektakulären Wende kommt. Die ersten dreizehn Teilungsrunden machen sämtliche Zellen des Embryos einträchtig durch: Sie teilen sich wieder und wieder, bilden ein einziges pulsierendes Bündel. Doch mit der vierzehnten Teilung hat die Synchronie ein Ende. An diesem Punkt beginnen verschiedene Zellgruppen, sich mit bemerkenswert unter. schiedlicher Geschwindigkeit zu teilen. Diese verschiedenen Teilungszonen werden als mitotische Domänen bezeichnet (abgeleitet von Mitose, der wissenschaftlichen Bezeichnung für die reguläre Zellteilung), und im frühen Fliegenembryo gibt es davon fünfundzwanzig Stück, wobei zwischen den einzelnen Domänen klare Abgrenzungen bestehen. Die Domänen sind die Schatten kommender Ereignisse, erste sichtbare Zeichen künftiger zellulärer Spezialisierungen, die letztlich in unterschiedliche Organe münden werden. Viel, viel später im Verlauf des embryonalen Wachstums wird aus der einen Domäne das Nervensystem hervorgehen, aus der nächsten entstehen die Gliedmaßen des Lebewesens. »Es sieht so aus, als sei dem Embryo in diesem Stadium sein weiteres Schicksal bereits aufgemalt«, so Dr. Foe. Doch selbst mit diesem Einblick in die zelluläre Bestimmung können die Wissenschaftler derzeit noch nicht gen au sagen, wie die einzelnen Domänen die jeweiligen Körperteile entstehen lassen. »Wir haben eine grobe Karte, aber all die kleinen Flecken darauf kennen wir noch nicht genau«, erklärt sie. »Wir wissen vielleicht, dass diese

Weitere Kostenlose Bücher