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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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besteht aus einem wilden Schopf langer schwarzer Haare, und ihre Züge wirken zart und herb zugleich.
    Dr. Foe, Forscherin an der University of Washington, ist eine Berühmtheit unter den Entwicklungsbiologen und Genetikern, die sich mit der Taufliege Drosophila beschäftigen, um allgemeine Aufschlüsse darüber zu erhalten, wie Tiere wachsen. Ihre Kollegen kennen ihre Arbeiten und zitieren sie in ihren eigenen Veröffentlichungen. Sie wissen, dass sie diejenige war, die einst die epochale Beobachtung machte, dass verschiedene Zellgruppen in verschiedenen Regionen des frühen Embryos sich mit auffällig unterschiedlicher Geschwindigkeit teilen - eine Entdeckung, die Licht in das Rätsel brachte, wie aus einer einförmigen Gewebemasse etwas so Komplexes wie Körper und Gehirn hervorgehen kann. An den National Institutes of Health (NIH) schätzt man sie so hoch, dass man ihr als Einziger Fördermittel gewährt hat, die unabhängig von jeglichen Verpflichtungen an einer Universität oder einer anderen Institution sind. Überdies bekam Dr. Foe den MacArthur-Award verliehen, den so genannten »Genie-Preis«, eine fünf jährige Förderung, die mit keinerlei Bedingungen verknüpft ist. Es wird nur erwartet, dass die Arbeit mit gleichbleibend hoher Qualität fortgesetzt wird.
    Dr. Foe ist eine Frau, die für sich einen neuen Weg in der Wissenschaft gefunden hat. Die meisten anderen Biologen im akademischen Bereich machen sich auf den mühseligen Marsch durch die Institutionen, bis sie einen Lehrstuhl ergattern, und scharen auf diesem Weg mehr und mehr Doktoranden, Habilitanden und technische Assistenten um sich. Die anderen nehmen einen Job in der Industrie mit festem Gehalt an.
    Dr. Foe hat nichts dergleichen getan. Sie hat sich nie um eine Professorenkarriere gekümmert, weil sie nicht wollte, dass ihr Leben von Verwaltungstätigkeiten bestimmt wird, die sie von ihrer Forschung abhalten. Sie wollte nie für eine Firma arbeiten, weil sie sich nicht gern herumkommandieren lässt. Und sie selbst spielt auch nicht gern den Chef. Erst 1993, mit achtundvierzig Jahren, nahm sie den ersten Doktoranden an, bis dahin hatte sie keinen einzigen technischen Assistenten, Studenten oder sonst jemanden, der für sie arbeitete. Ihre Fördermittel von den NIH decken ihr Gehalt und Geld für Laborausrüstung und Verbrauchsmaterial ab, dadurch sind ihre Beziehungen zur University of Washington relativ lose. Im Prinzip ist sie eine freischaffende Wissenschaftlerin, und was sie getan hat, hat sie großenteils allein getan, als Einfraubetrieb, als Foe-GmbH. Ihr Arbeitsstil unterscheidet sich zutiefst von der Art und Weise, wie die meiste Forschung heutzutage betrieben wird. Er ähnelt mehr dem jenes einsamen Erbsenzählers Gregor Mendel als dem der großen disziplinierten Gruppenunternehmungen, zum Beispiel des internationalen Goliath-formatigen Human Genome Project.
    Doch ihre zarte Telefonstimme verrät einiges über ihren Charakter. Trotz ihrer Leistungen, ihres Mutes zur Unorthodoxie und der festen Überzeugung, dass die Arbeit, die sie leistet, gut und solide ist, verfügt Dr. Foe in etwa über das Ego eines Teenies bei seinem ersten Rendezvous. Sie wird leicht nervös und gerät sofort ins Schwitzen. Ständig hat sie Angst, dass ihre Mittel auslaufen und nicht erneuert werden. Sie arbeitet wie besessen und sorgt sich anschließend, nicht genug getan zu haben oder falsch zu liegen oder töricht und verworren gedacht zu haben. Sie hält sich für eine langweilige und unfähige Rednerin, obwohl jeder, der sie sprechen hört, völlig in ihrem Bann steht. »Sie weiß hundertprozentig, dass das, was sie tut, das Richtige ist«, erzählt Dr. Garrett M. Odell, ein Entwicklungsbiologe an der University of Washington. »Doch das ist gepaart mit ihrer verblüffend anhaltenden Unsicherheit. Sie fragt sich ständig, ob sie gut genug ist, um mit klugen Leuten reden zu können. Sogar jetzt sorgt sie sich noch, dass die MacArthur-Leute sie anrufen könnten und sagen: >Sie sind Victoria Foe? Tut uns Leid, wir hatten Victor gemeint.«< Dr. Odell ist Dr. Foes Mitarbeiter und lebt mit ihr zusammen - wobei das meistenteils heißt: im Labor wohnen.
    Die Mischung aus Angst und Stärke ist nur einer der vielen Widersprüche, die Dr. Foe in sich vereint. Auf einem Gebiet, in dem die meisten Biologen ihr Handwerk mit einem reduktionistischen Ansatz betreiben und ein Problem in seine kleinstmöglichen Komponenten zerlegen, wirkt Dr. Foe wie ein altmodischer

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