Schön scheußlich
bestimmte Regionen des limbischen Systems eine Verringerung ihrer Aktivität zeigten, so unter anderem der Mandelkern, der limbische Cortex und der Gyrus cinguli. Diese Strukturen kontrollieren Gefühle wie Wut, Zufriedenheit und Aggressivität.
Versetzte das Medikament die Probanden dagegen in eine der manischen Episode ähnliche Euphorie, nahm die Aktivität im limbischen System zu. Dasselbe galt für Strukturen des Mittelhirns, die mit dem limbischen System in Wechselwirkung stehen, insbesondere der Hypothalamus, der Hauptregulator unserer Sexualität und anderer psychophysischer Zustände. Dass ein stimuliertes limbisches System und ein ebenfalls stimulierter Hypothalamus die Fantasie und andere assoziative Kräfte stärkt, ist keine Überraschung. Diese gesamte Region ist eine Hauptschaltstation, die externe Stimuli zu emotionalen Reaktionen und Letztere in Handlungen umwandelt. Sie gehört außerdem zu dem Teil des Gehirns, der sich parallel mit dem Sozialverhalten der Säugetiere entwickelte, das Individuen in einer Gruppe dazu bringt, einander zu erkennen und aufeinander zu reagieren. Als Region, die uns hilft, Neues aufzunehmen und in Vertrautes zu integrieren und aus dieser Übung eine neue Reaktion zu entwickeln, ist das limbische System in gewissem Sinn ein mikrokosmischer Schöpfer.
Das Porträt des gemütskranken Gehirns umfasst jedoch mehr als ein paar Knackse im limbischen System. Andere darstellende Verfahren am Gehirn manisch-depressiver Patienten haben bei den Stoffwechselprozessen der Großhirnrinde im vorderen Stirnhirnbereich, dem höchstentwickelten Teil unseres Gehirns und Sitz der menschlichen Intelligenz, deutlich erkennbare Muster ergeben. Sie können als Indiz dafür gelten, dass sich parallel mit der Veränderung emotionaler und physischer Zustände auch die biologischen Grundlagen unserer Gedanken verändern.
In Untersuchungen an Patienten mit Hirnläsionen, durch die die Betroffenen entweder ständig weinen oder ständig lachen, sind den Neurologen Unterschiede zwischen beiden Hemisphären aufgefallen. Menschen, die ohne Unterlass weinen, weisen Schäden in der linken Hemisphäre au( derjenigen Gehirnhälfte also, von der man annimmt, dass sie für die Sprache und rationales Denken verantwortlich ist. Diejenigen, die unkontrolliert lachen, weisen Läsionen in der rechten Gehirnhälfte auf, in der man die Verarbeitung nonverbaler Kommunikation vermutet.
Wenn Künstler bei ihren manisch-depressiven Ausfällen oder deren sanfteren Varianten also zuerst auf der Steuerbord-und dann auf der Backbordseite durch die üppigen Wogen der Fantasie segeln, nimmt es kaum Wunder, dass sich in ihnen das Paradoxe zu großer Schönheit destilliert.
34.
Wissenschaftler bei der Arbeit:
Victoria Elizabeth Foe
Victoria Elizabeth Foe scheint mit der verkehrten Stimme auf die Welt gekommen zu sein. Am Telefon klingt sie klein und schüchtern, ein bisschen wie eine Figur aus einem düsteren Anita-Brookner-Roman, die einsam an einem Ecktisch sitzt, an ihrem Tee nippt und leidenschaftslos über die kleinen Enttäuschungen ihres Lebens nachsinnt. In persona aber, wenn sie auftaut und anfängt, von ihrer Arbeit als Entwicklungsbiologin zu erzählen, davon, wie sie Tag und Nacht am Mikroskop verbringt, um die ersten Augenblicke im Leben eines Embryos zu beobachten, jedes Zittern und Beben jeder einzelnen Zelle auflistet, dann nimmt ihre Schilderung epische Dimensionen an, und sie wirft mit Superlativen nur so um sich.
»Embryonen zu beobachten ist etwas Wunderbares und Aufregendes«, erklärte sie. »Es ist ein feierlicher Akt; es bereitet mir größtes Vergnügen.« Später erklärte sie: »Es ist wie bei einem Taucher, der ins Meer hinuntergeht. Jedes einzelne Mal bemerken Sie etwas Neues und überaus Erstaunliches. Es ist einfach ein Wunderland.« Noch später meinte sie: »Dies ist das goldene Zeitalter der Biologie. Es lässt sich vergleichen mit dem Zeitalter der großen Kathedralen, die vor tausend Jahren gebaut wurden. Wir bauen immer weiter an diesem großen Gebäude. Einige von uns mauern Bögen, andere befassen sich mit Wandmalereien, wieder andere betätigen sich als Bildhauer. Ich fühle mich ungemein privilegiert, heute zu leben und daran teilhaben zu dürfen. «
Diese Frau hat so viel Ausstrahlung und Präsenz, dass alles andere neben ihr verblasst. Sie trägt einen langen Rock, eine Trachtenbluse und Cowboy-Stiefel, die sie auf mindestens einen Meter achtzig strecken. Ihre Frisur
Weitere Kostenlose Bücher