Schön scheußlich
wieder in einen Zustand der Lähmung. Sie sind voller Narben und doch heil, von Krankheit geplagt und doch stark.
Während die gesunden Episoden für den Fortgang der schöpferischen Arbeit unabdingbar sind, geben meist die Momente des Wahnsinns dem Ganzen eine eigene, geniale Note. Die Neurobiologie einer Gemütskrankheit wirkt vielleicht im tiefsten Inneren dahin, kreatives Denken anzustoßen und zu nähren, und eventuell besteht eine Verknüpfung zwischen psychischer Labilität und Inspiration. Da manisch depressive Menschen ständig die biochemische Achterbahn zwischen emotionalen Extremen fahren, könnte ihr Gehirn komplexer vernetzt sein und ein Leben lang flexibler bleiben als das Gehirn weniger quecksilbriger Personen. Die komplexere Verknüpfung zwischen einer neuralen Nachbarschaft und der nächsten sowie die permanente Empfänglichkeit für neue Informationen und neue Empfindungen erlauben es einer gemütskranken Person, scheinbar unzusammenhängende Ideen zusammenzuführen und das Gewöhnliche zum Ungewöhnlichen zu erhöhen - worin das eigentliche Wesen künstlerischen Schaffens besteht. Menschen, die emotionale Extreme erfahren haben und somit gezwungen waren, sich mit einem sehr großen Spektrum an Gefühlen auseinander zu setzen, und die es geschafft haben, die Konfrontation mit solchen Widrigkeiten erfolgreich zu überstehen, könnten über eine breiter gefächerte Organisation ihres Gedächtnisses verfügen, über eine buntere mentale Palette. Hinzu kommt, dass die unbändige Energie einer manischen Episode einen wahren Vulkan an Ideen ausbrechen lassen kann, die der Geist dann im Lauf der weniger rasanten, skeptischeren Augenblicke der Depression oder in einer Phase der Normalität zu Bedeutsamem zu formen vermag.
Als weiterer Hinweis darauf, dass die manisch-depressive Erkrankung nicht nur eine Geißel ist, sondern zumindest in ihren milderen Formen den von ihr Betroffenen auch Vorteile bringt, kann das unverminderte Fortbestehen dieser Krankheit gelten. Dieses lässt sich nicht durch Zufall allein erklären. Aus Familien-und Zwillingsstudien geht hervor, dass die Krankheit erblich ist. Doch ob sie durch Mutationen in einem einzigen Gen oder in einer Handvoll Gene zustande kommt, kann bislang niemand sagen. Man weiß, dass man die manisch-depressive Erkrankung, wenn sie eine zufällige, fehlgeleitete und vollkommen schädliche genetische Erkrankung wäre, höchstens bei einer Person von Tausend finden dürfte. Tatsächlich tritt sie jedoch mit einer Häufigkeit von eins zu hundert oder höher auf - und zwar unabhängig davon, ob man nun in New York City danach sucht oder in der Kalahari. Das spricht dafür, dass sie nicht ohne Grund existiert. Aus evolutionsbiologischer Sicht sollte man die manisch-depressive Erkrankung damit womöglich besser als Merkmal denn als Krankheit betrachten, als genetische Variation über ein Charakterthema, das zu prähistorischer Zeit dem, der es erbte, großen Vorteil einbrachte. Über das Wesen eines solchen Vorteils lässt sich nur spekulieren, doch sicher hätten Urmenschen, die ungewöhnlich kreativ, energiegeladen und geschickt im Lösen von Problemen waren, die furchtlos dem Unbekannten ins Auge blickten und sich zeitweise großspurig und selbstherrlich gebärdeten, die haarige Oberhand über ihre sanftmütigen Zeitgenossen gehabt. Selbst heute ist die manisch-depressive Erkrankung häufig im Schlepptau des Erfolgs zu finden, denn sie kommt um einiges häufiger unter Menschen von höherem sozioökonomischem Rang vor als in den unteren Schichten der Einkommenspyramide.
Wie sich die manisch-depressive Erkrankung und andere Gemütskrankheiten in der Topologie des Gehirns niederschlagen, wird erst in unseren Tagen allmählich deutlich. Vorläufige Studien mit bildgebenden Verfahren am Nervensystem deuten darauf hin, dass während der manischen und der depressiven Phasen unterschiedliche Gehirnbereiche gestört sind, und dieses spricht für die Vorstellung, dass eine psychische Erkrankung dieses Typs die geistige Aktivität insgesamt anregt. Bei einem Versuch erhielten Freiwillige ein Medikament intravenös injiziert, das emotionale Reaktionen von Euphorie und Energiegeladenheit bis hin zu Angst und Depressionen auslösen kann. Mit Hilfe der Positronen-Emissionstomographie lässt sich die relative Durchblutungsgeschwindigkeit im Gehirn bestimmen, und die Neurobiologen stellten fest, dass in Fällen, in denen die Versuchspersonen über Depressionen klagten,
Weitere Kostenlose Bücher