Schön scheußlich
der von lebenden Verwandten vergleichen. Die Ergebnisse sollen, wenn möglich, in späteren Strafverfahren eingesetzt werden. »Dieser Fall liegt sehr viel schwieriger als der argentinische«, erklärt sie, »denn es gibt sehr wenige Überlebende des Massakers.« Und damit nichts, womit 'sich die DNS vergleichen ließe.
Dr. King ist Jahrgang 1946 und von unbeirrt liberaler Gesinnung. Es erfüllt sie mit Befriedigung, dass ihr Quartier im Herzen eines Gebäudes, das eigentlich den Forstwissenschaften gehört, auf ein wenig Geschichte zurückblicken kann. In eben diesem Raum organisierte sie zusammen mit anderen Studenten im Jahr 1970 eine Protestbriefaktion gegen die amerikanische Invasion in Kambodscha: Sie sammelten fünfunddreißigtausend Unterschriften von den nordkalifornischen Wählern. Doch Dr. King hat keinen Hang zur politischen Prinzipienreiterei, und mit einigem Amüsement berichtet sie, dass sie inzwischen mit der amerikanischen Armee zusammenarbeitet. »Wir arbeiten mit unserer eigenen Regierung zusammen an militärischen Fällen, ich schäme mich fast, es zu sagen«, erklärt sie. Unter anderem gehört zu diesen Fällen der Versuch, einen Mann zu identifizieren, der im Zweiten Weltkrieg mit seinem Kampfflugzeug abgeschossen wurde und dessen Leiche im Sumpf mumifizierte. Das King-Labor sieht sich nicht als gerichtsmedizinisches Labor im eigentlichen Sinn, aber seine Wissenschaftler haben eine Methode perfektioniert, DNS aus Zähnen zu extrahieren. Sie entnehmen dabei ihre Proben aus dem verbliebenen Rest an Nervengewebe. Die Zähne haben sich als bessere Konservierungsstätten für Erbgutproben erwiesen als die Knochen.
Auch ist Dr. King Pragmatikerin genug, um selbst stets auf der Höhe der neuesten Wissenschaft zu bleiben. Sie war in der Nachfolge von Dr. James Watson in der engeren Wahl als Leiterin des Human Genome Project, jenes berühmten Unternehmens zur Kartierung und Analyse aller hunderttausend menschlichen Gene. Die Stelle ging schließlich an Dr. Francis Collins, einen Genetiker von der University of Michigan, der mit Dr. King auf der Jagd nach dem Brustkrebsgen zusammenarbeitete. Man hat sie auch gebeten, sich um die Stelle der Direktorin der National Institutes of Health zu bewerben, als Nachfolgerin für die scheidende Bernadine Healy. Sie lehnte dieses Ansinnen jedoch ab. »An einem Job mit einem solchen Ausmaß an administrativer Verantwortung bin ich nicht interessiert«, erklärte sie. »Er wäre zu weit weg von dem, was ich am liebsten tue, und das ist Forschen.«
Doch für einen reinen Wissenschaftler hat Dr. King einen ausgesprochenen Hang zur Praxis. Sie und zwei andere Forscher publizierten einen Bericht in The Journal of the American Medical Association, in dem sie über die bevorstehende Isolierung des Gens für die früh einsetzende Form von Brustkrebs berichteten und die möglichen Optionen für Betroffene diskutierten, bei denen das mutierte Gen nachgewiesen wurde. In den Vereinigten Staaten handelt es sich dabei um schätzungsweise sechshunderttausend Frauen. Bei diesen Frauen ist das Risiko, noch vor dem fünfzigsten Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken, extrem erhöht, und die Betroffenen müssen für sich abwägen, ob sie zu so drastischen Maßnahmen greifen wollen wie einer prophylaktischen Mastektomie oder einer Teilnahme an den gegenwärtig laufenden Tamoxifen-Studien. Wissenschaftler hoffen, dass das Medikament hilft, viele Brustkrebsfälle zu verhindern, aber seine Langzeitwirkung ist bislang unbekannt. Zudem wirft sein Einsatz auch verschiedene Gesundheitsrisiken auf; darüber hinaus beginnt bei den betroffenen Frauen die Menopause früher.
Weiterhin laufen in Dr. Kings Labor zwei Projekte zur Aids-Forschung, in deren Rahmen geklärt werden soll, ob genetische Unterschiede dafür verantwortlich sind, dass manche Menschen die Krankheit sehr viel länger überleben als andere. Ihre Arbeitsgruppe untersucht die Genetik des Lupus erythematodes, einer Autoimmunkrankheit, bei der Haut und Gelenke allmählich zerstört werden, und fahndet nach einem Gen für eine angeborene Form der Taubheit.
Dr. King ist eine leidenschaftliche Befürworterin des Human Diversity Project unter der Federführung von Dr. Luca Cavalli-Sforza, einem Populationsgenetiker von der Stanford University. Die Forscher planen, das Erbgut von etwa vierhundert verschiedenen menschlichen Populationen weltweit zu analysieren, wobei ein besonderes Augenmerk den ältesten und am wenigsten vermischten
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