Schön scheußlich
Leute würden Steve am liebsten verbannen«, erklärt er. »Sie versuchen ständig, sich mit ihm zu arrangieren, um ihn emotional zu verdauen.«
Was ihn betrifft, erklärt Dr. Gould, so gebe er nicht allzu viel auf seine Gegner, und er betont, dass er von der großen Mehrheit seiner Kollegen respektiert werde. Sein Benehmen ist noch immer eine Mischung aus einem Hauch New Yorker Rauflust und Defensive. Er war ein Junge aus der unteren Mittelklasse, aufgewachsen in einem Wohngebiet von Queens. Sein Vater, ein Gerichtsstenograf, erwarb sich sein Wissen und seine Bildung im Alleingang, und er fühlte sich sein Leben lang unterlegen, weil er keinen College-Abschluss hatte. Dr. Gould lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern, über die er in der Öffentlichkeit selten spricht, in Cambridge, Massachusetts. Er schweigt sich ganz allgemein über sein Privatleben aus, nur seine Passion für Baseball, Wagner und Mozart hat sich weithin herumgesprochen.
Meist wirkt Dr. Gould jedoch zufrieden und mit sich im Reinen. Er ist auf gemütliche Art ein bisschen untersetzt und ein Freund so unkomplizierter Gerichte wie Pommes frites und Chili. Er erklärt, er habe eine neue Einstellung gegenüber der Schlamperei, den Ungenauigkeiten und Redundanzen entwickelt, die in der Natur überall zu beobachten seien. Eight Little Piggies variiert das Thema Wiederholung, Trägheit und Zufall in der Naturwelt. Der Titelaufsatz beispielsweise stellt Überlegungen zu der Frage an, warum moderne Wirbeltiere fünf Finger und Zehen haben und nicht acht, wie dies bei einigen prähistorischen Arten der Fall war. Er kommt zu dem Schluss, dass das Ganze ein Zufall der Evolution ist. Und er schreibt, dass das überschüssige Erbgut, das wir in unseren Zellen mit uns herumtragen, jene DNS, die von vielen als Junk-DNS abgetan wird, womöglich der Stoff sein könnte, aus dem evolutionäre Fantasie und Veränderungen schöpfen.
»Als ich jung war, steckte ich bis über beide Ohren in der Macho-Vorstellung von Wissenschaft als etwas Solidem, Handfestem, Quantifizierbarem«, erinnert er sich. »Heute interessieren mich die wunderbaren, sprunghaften Zufälle der Natur.« Nichts währt ewig, so ist das nun einmal: Die Strohhalmhüllen, die er vor mehr als vier Jahrzehnten als Junge an die Cafeteriadecke des New Yorker National History Museum gepustet hatte, trockneten zu kleinen Stalaktiten und blieben über Jahre hinweg an ihrem Platz. Doch als der Erwachsene danach suchte, ließ sich dort oben kein einziges Papierfossil seiner Kindheit mehr entdecken.
VII.
Sterben
37.
Der Zelltod als Schlüssel zum Leben
Es ist ein Paradoxon, das sich nie und nimmer lösen oder aufheben lassen wird: die Unentbehrlichkeit des Todes für den Fortbestand des Lebens. Ob wir in aller Anmut der Jugend heranwachsen oder uns mit dem Fatalismus des Alters dahinschleppen - unsere Zellen sterben tagtäglich zu Millionen, und dafür müssen wir dankbar sein. Wenn sich das Gehirn eines Babys im Mutterleib entwickelt, gehen etwa achtzig Prozent der Nervenzellen wenige Stunden nach ihrer Entstehung wieder zugrunde. Ihre fein verästelten Ranken welken nutzlos dahin, ihr Fortbestehen würde dem fertigen Organ schaden. Die während der Entwicklung entstehenden Häutchen zwischen einzelnen Fingern und Zehen müssen vor der Geburt aufgelöst werden. Und beim Erwachsenen sind Immunzellen, die irrigerweise körpereigenes Gewebe angreifen würden, ohne viel Aufhebens aus dem Verkehr zu ziehen.
Zelltod ist ein universales Merkmal allen Lebens, dennoch hat die Wissenschaft dieses Problem lange Zeit als entweder zu uninteressant oder als zu komplex vernachlässigt. Eine tote Zelle zu untersuchen ist so gut wie sinnlos - schließlich ist sie ein lebloses Ding, inaktiv, nicht mehr von Interesse. Eine sterbende Zelle hingegen wurde, wenn man so will, als zu interessant betrachtet: ein Waldbrand, in dem der einzelne brennende Baum inmitten des flammenden Infernos nicht mehr auszumachen ist - ein Zustand, der sich der Reduktion und Analyse entzieht.
In jüngster Zeit haben Wissenschaftler jedoch eine Form des Zelltods entdeckt, der sich der Untersuchung nicht zu verschließen scheint. Es handelt sich um eine Art des Sterbens, die man unter der Bezeichnung Apoptose oder programmierter Zelltod kennt. Offenbar kontrolliert das programmierte Sterben die Beseitigung von Zellen und Geweben unter den verschiedensten Umständen. Diese aktuellen Erkenntnisse haben das Studium des
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