Schön scheußlich
Dinosaurier-Ausstellung des Museums bleibt Dr. Gould kurz stehen und erklärt mit einer wegwerfenden Handbewegung: »Dinosaurier sind langweilig geworden. Sie sind ein Klischee. Man hat sie überstrapaziert.« Beim Anblick einer Gruppe Kinder, die-unter heiserem Gebrüll von einer Bedienungsleiste zur nächsten flitzen, brummelt er: »Lernen die auch was? Oder drücken sie bloß Knöpfe?« Vor dem Pendel, einer riesigen Stahlkugel, die an einem Drahtseil von der Decke hängt, meint er: »Ich habe noch nie verstanden, warum jedes Wissenschaftsmuseum den Drang hat, so ein Ding aufzuhängen. Ich kapiere noch immer nicht, wie es funktioniert, und ich glaube, den meisten Besuchern geht es nicht viel besser.« Das Pendel soll demonstrieren, dass das Gewicht in gerader Linie weiterpendelt, während die Erde sich unter ihm dreht. Aber, so Dr. Gould, das Pendel hängt seinerseits, in einem Gebäude, das sich mit der Erde dreht, warum also sollte die Kugelachse nicht ebenfalls rotieren? Eine gute Frage, die die Informationstafel hier nicht beantwortet.
Doch selbst in dieser widerborstigen Laune ist er ein wortgewandter Unterhalter, und er erzählt genauso flüssig, wie seine Artikel sich lesen. Er nimmt ein Ideenfädchen auf, folgt ihm ein kurzes Stück, verknüpft es mit einer anderen Einsicht und wieder einer und noch einer, bis genügend Fäden zusammengesponnen sind, um ein üppiges, zusammenhängendes Muster zu bilden. »Jeder hat irgendeine seltsame kleine Geistesgabe«, erklärt er. »Meine besteht darin, solche Verknüpfungen herstellen zu können. Wenn Sie Glück haben, lernen Sie, diese Fähigkeit zu Ihrem beruflichen Vorteil auszubauen. Andernfalls bleibt sie ein Partytrick.«
Als prominenter Kritiker übereifrigen genetischen Determinismus und zahlloser Versuche, angeborene Fähigkeiten und Intelligenz mittels standardisierter Methoden zu testen, hat Dr. Gould mehr als genug von den anhaltenden Versuchen, die alte Debatte um Angeborenes und Erworbenes einer Lösung näher zu bringen. Er dachte, er hätte diese Themen in Der falsch vermessene Mensch, seinem Bestseller aus dem Jahr 1981, ein für alle Mal abgehandelt. Doch wo immer er auftaucht, fragen die Leute ihn: Wie viel von unserer Intelligenz ist ererbt? Wie viel ist Ergebnis unserer Erziehung? Ist kriminelles Verhalten angeboren oder erlernt? Wir wollen Zahlen! Wir wollen Antworten! Dr. Gould betont, dass Biologie und Umwelt unauflöslich miteinander verknüpft sind und der Einfluss des einen nicht vom Einfluss des anderen zu trennen ist. »Es ist sowohl logisch als auch mathematisch und philosophisch unmöglich, sie voneinander abzukoppeln«, erklärt er. "Sie üben tatsächlich einen gemeinsamen Einfluss aus, aber ich verzweifle bei dem Versuch, den Menschen das begreiflich zu machen.«
Dr. Goulds Vorstellungen von der Evolution und vom Wesen der Natur sind recht populär, aber ein paar Kollegen sind sie sauer aufgestoßen. Vor allem seine Theorie vom durchbrochenen Gleichgewicht - der von ihm und Dr. Niles Eldredge formulierten Überlegung, derzufolge die Evolution schubweise abläuft und sich nicht schön glatt und allmählich entfaltet. In einer wissenschaftlichen Welt, die den einzelnen Organismus als Insel sieht, als ein auf sich gestelltes, erbarmungswürdiges Selbst, das sich um seines Überlebens willen nicht nur mit Räubern, die es auffressen, oder Parasiten, die es schädigen könnten, misst, sondern mit allen anderen seiner Art, besitzt Dr. Gould die Unverfrorenheit, die Vermutung zu äußern, dass manche der Attribute, die wir in der Natur beobachten, womöglich aus eher gemeinnützigen Gründen entstanden sein könnten - nicht, um allein dem Individuum zu dienen, sondern um der ganzen Art zugute zu kommen. Mit anderen Worten: Er vertritt den Standpunkt, dass die alte Redensart »zum Wohle der Art«, die ihrer Idee nach von vielen Evolutionsbiologen der Gegenwart spöttisch beiseite gewischt wird, vielleicht doch von einer gewissen Gültigkeit sein könnte.
Manche seiner Gegner murren, Dr. Gould habe genau genommen nicht allzu viel zur Forschung beigetragen. Andere wiederum behaupten, das, was er beigetragen habe, sei nicht unbedingt zum Guten gewesen. Wieder andere beklagen, seine Aufsätze hätten den Ruch von reinem Selbstzweck. Niles Eldredge hält Dr. Gould für ein zweifaches Opfer: Einerseits werde er hochgejubelt als das Orakel der Evolutionstheorie, andererseits als müder Halbsozialist und dreister Demagoge gebrandmarkt. »Manche
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