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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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erziehende Mutter auf einem Gebiet zu bestehen, das für seine langen und unregelmäßigen Arbeitszeiten und sein gnadenloses Tempo berüchtigt ist. Sie glaubt, dass einer der Gründe dafür, dass ihre Ehe scheiterte, damit zu tun hat, dass man als Wissenschaftler »nur zwei von drei Dingen gut machen kann. Ich war eine junge Mutter, eine junge Wissenschaftlerin und eine junge Ehefrau. Irgend etwas musste danebengehen, und das war die Ehe.«
    In ihrem eigenen Labor versucht Dr. King, Mitarbeitern mit Familie so weit wie möglich entgegenzukommen. Dem weltoffenen Geist Berkeleys getreu, vereint sie in ihrem Labor stets eine Menge Doktorandinnen und Habilitandinnen sowie Afroamerikaner, Chinesen, Latinos und Schwule. »Ich war viele, viele Jahre im Geschäft, bis ich den ersten ganz normalen weißen Studenten im Labor hatte«, berichtet sie. Doch in einem hochrangigen Labor hat die Großzügigkeit auch ihre Grenzen, und viele ihrer Studenten schlafen mehr oder weniger unmittelbar neben ihrem Arbeitsplatz, vor allem diejenigen, die an der Jagd nach dem Brustkrebsgen beteiligt sind, bei der der Konkurrenzdruck von außen am härtesten ist. Dr. King erklärt, sie hasse den Konkurrenzkampf und betrachte ihn als eine der Unarten, durch die Männer diesem Beruf einen unnötig und lähmend maskulinen Stempel aufgedrückt hätten. Einmal beendete sie einen Vortrag damit, dass sie ein Federmäppchen in Gestalt eines Haies aus der Tasche zog, das sie von dem Kind einer Freundin geschenkt bekommen hatte. Sie legte es vor sich auf den Tisch und sagte: »Das hier ist für all die Haie unter den Zuhörern«, ein Satz, der ihr verkniffenes Gelächter und wenig Beifall eintrug. Doch, wie die Männer, die sie kennen, sich beeilen hinzuzufügen, Dr. King ist kein schüchternes Mauerblümchen. Sie sagt, was sie denkt, geht dem nach, was sie interessiert, und gibt keine Handbreit Boden ab. »Was den Konkurrenzkampf anbelangt«, so Ray White, ein Sparringspartner auf dem Gebiet der Genetik, »so ist Mary-Claire keineswegs im Nachteil, ganz und gar nicht.«
    Nachtrag: Im Herbst 1994 wurde das Brustkrebsgen endlich gefunden, allerdings nicht vom King-Labor. Das Rennen machten Mark Skolnick von der University of Utah und seine vierundvierzigköpfige Arbeitsgruppe. Obwohl Dr. Skolnik und Dr. King einander bekanntermaßen nicht mögen - Folge einer Zusammenarbeit, die vor zwanzig Jahren unschön geendet hatte - , gratulierte Dr. King ihm in allen Interviews, die sie zu geben hatte, wohlwollend zu seiner guten Arbeit. Sie erklärte, dass sie eigentlich erwartet hatte, traurig zu sein, wenn nicht sie den Sieg davontrüge, dass sie aber, als es so weit war, zu ihrer Verwunderung nichts als Erleichterung verspürte, weil das Rennen endlich vorbei war. Nun stehen die Genetiker vor einer weit massiveren Herausforderung: Sie müssen die Entdeckung des Gens zu etwas machen, das für die Frauen aufder ganzen Welt, die sich um ihre Gesundheit und ihr Leben sorgen, von praktischer Bedeutung ist.

36.
Mit Stephen Jay Gould im Naturkundemuseum
     
     
    Stephen Jay Gould sitzt in der Cafeteria der kalifornischen Akademie der Wissenschaften, einem verträumten Westküsten-Ableger des American Museum of Natural History in New York, und versucht, was schon Generationen von Kindern vor ihm mit großer Freude versucht haben, wann immer sie sich in einem Speisesaal aufhielten: die Papierhülle von einem Strohhalm an die Decke pusten, damit sie dort oben hängen bleibt. Er tunkt ein Ende des Strohhalms samt Papier in ein Glas Wasser, und die Hüllenspitze bildet eine lustige durchweichte Mütze - den klebrigen Teil. Vorsichtig reißt er das andere Ende der Hülle auf, damit er den Halm gleichzeitig festhalten und in ihn hineinpusten kann. 0 ja, den Strohhalmtrick liebt er, dieser hoch geschätzte HarvardProfessor für Geologie, Biologie und Wissenschaftsgeschichte, dieser nimmermüde Verfasser dichter, höchst eleganter Wissenschaftsaufsätze, die eine breite populäre Zuhörerschaft erreichen, diese internationale Autorität für eine kleine tropische Schnecke aus der Familie der Cerionidae.
    Doch als er den Strohhalm an seine Lippen hebt und kurz hineinbläst - ffft! - , passiert überhaupt nichts. Die Hülle ist von zahllosen winzigen Löchern durchsiebt und kann die zum Davonstieben nötige Luft nicht halten. Dr. Gould wirft das Ganze mit einer komischen Miene des Widerwillens zur Seite. Er hat lange und intensiv über die Evolution nachgedacht, und ihm

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