Schön scheußlich
des zellulären Schwanengesangs in groben Umrissen zu Papier gebracht. Einem - noch zu identifizierenden - Signal gehorchend, setzt eine Zelle, die dem Körper Schaden zufügen könnte, beherzt ihr Selbstmordprogramm in Gang. Sie schaltet im Zellkern Enzyme ein, die als Heckenscheren wirken und die Chromosomen zu winzigen Stückchen zerschnipseln. Die Zelle aktiviert andere Enzyme, die Löcher in die schützende Zellmembran reißen. Sie stößt einen gellenden chemischen Schrei aus, der die Putzkolonne des Körpers herbeiruft, und schließlich zerreißt sie sich selbst und begibt sich in die Fänge der Makrophagen. Wie ein Biologe es ausdrückte: Die Apoptose ist ein ritualisierter Totentanz.
So unerbittlich und grausam sich dieses auch anhören mag - das Fehlen von Apoptose ist noch schlimmer. Wissenschaftler haben festgestellt, dass an manchen Arten von Lymphomen des Menschen ein Gen schuld ist, dessen Produkt am Apoptoseweg beteiligt ist. Das Gen trägt den Namen bcl-2. Sein Produkt bewirkt unter normalen Umständen eine Blockade des Zelltods bei einigen der B-Zellen, sodass diese als Teil des Langzeitgedächtnisses ins Immunsystem eingehen. Damit wird dessen Fähigkeit garantiert, wiederholt auftretende mikrobiale Angreifer zu erkennen und abzuwehren. Wenn dieses Gen jedoch mutiert ist, bleibt es permanent in allen B-Zellen aktiv - nicht nur in einigen wenigen. Die Folge hiervon ist, dass weiße Blutkörperchen dem Auftrag, Selbstmord zu begehen, nicht mehr gehorchen, wenn ihre Zeit gekommen ist, sondern endlos weiterarbeiten und schließlich bösartige Dimensionen annehmen.
Auch einfachere Organismen als der Mensch sind auf die Apoptose angewiesen. Bei dem durchsichtigen millimetergroßen Fadenwurm C.elegans werden genau 131 der Zellen seines Körpers nur geboren, um zu sterben. Biologen haben in diesen 131 Zellen eine Reihe von Todesgenen ausgemacht, die sie aufgrund der Beobachtung, dass einige ihr tödliches Spiel erst beginnen, wenn andere ihnen dies befohlen haben, zu einer Art Hierarchie der Zerstörung anordneten. In Anlehnung an »Alices Restaurant« erklären die Wissenschaftler, dass der erste Schritt darin bestehe zu töten, der zweite darin, die Leiche loszuwerden, und der dritte, die Spuren zu beseitigen, die das Gemetzel hinterlassen hat. In jedem Stadium kommen daher andere Gene ins Spiel: Manche brechen die Zelle auf, und andere ermutigen die Nachbarzellen, sich an den Trümmern gütlich zu tun.
Warum macht sich der Wurm überhaupt die Mühe, diese Zellen herzustellen, wenn sie doch nur zum Opfer bestimmt sind? Es sieht so aus, als würden die Zellen so etwas wie Michelangelos Marmorblock bilden, aus dem schließlich die ruhmvolle Wurmform gehauen sein wird. Ein Großteil des überschüssigen Gewebes entsteht in den Genitalknospen des Wurms, und die Zellen sterben nach unterschiedlichem Muster ab, je nachdem, ob am Ende eine Er-Knospe oder eine Sie-und-Er-Knospe, ein Hermaphrodit also, stehen soll.
Im Verlauf seiner Metamorphose bemüht der Tabakschwärmer einen anderen Fall von Zelltod. Er benötigt mehrere Schichten aus riesigen Muskelzellen, um aus seinem Ko kon zu schlüpfen. Sobald der Falter sich aus seiner Puppenhaut befreit hat, braucht er die Muskeln nicht mehr, und die Zellen vermindern sich über Nacht im besten Apoptose-Stil. Bei der Sektion der Zellen - die mit einem Durchmesser von fünf Millimetern dem bloßen Auge gut sichtbar sind - stießen die Wissenschaftler auf mehrere Proteine, die unmittelbar vor dem Einsetzen des Zelltods zu dramatisch hohen Konzentrationen aufliefen. Eines dieser aktivierten Henkermoleküle ist das Protein Ubiquitin, das sich an Hunderte anderer Proteine im Zellinneren anheftet und diese zum Abbau vormerkt. Sind so viele ihrer Proteine zerstört, stirbt die Zelle rasch. Diese Korrelation zwischen dem Auftreten von Ubiquitin und einem zellulären Massenselbstmord beschränkt sich allem Anschein nach nicht auf Schwärmer. Spuren von Ubiquitin-Müll finden sich in den neuro fibrillären Bündeln im Gehirn von Alzheimer-Patienten. Womöglich wurde hier dieses Protein stimuliert und bewirkte den vorzeitigen Niedergang von Nervenzellen. Warum das Protein jenem mörderischen Ruf gefolgt ist und was getan werden kann, diesen Schritt zu verhindern, gehört zu den zahllosen offenen Fragen auf der endlosen Liste der Wissenschaft. Die Geheimnisse des Zelltods werden sich nicht kampflos ergeben.
38.
Das myc-Gen: Richter über Leben und Tod
Inmitten des
Weitere Kostenlose Bücher