Schön scheußlich
dass sich das Protein mit einem anderen Protein über gebleckte Leukin-Zähne verbinden kann. Sobald die beiden ineinander gegriffen haben, werden sie zu einer Funktionseinheit, die imstande ist, ein Werk zu vollbringen, das jedes für sich allein nicht hätte leisten können.
Aus verschwindend geringen Proteinmengen und nach mühsamem Durchprobieren von Zehntausenden potenzieller Partner machten die Biologen schließlich den Proteingefährten des myc-Genprodukts aus. Sie nannten ihn max zum einen, weil er auf myc Wirkte, zum anderen, weil die beiden Namen myc und max zusammen so gefällig klingen. Mit dem funktionierenden myc-max-Komplex im Reagenzglas wurde den Wissenschaftlern dann auch klar, warum die beiden sich überhaupt zu verzahnen trachteten. Der Kom plex erwies sich nämlich als Transkriptionsfaktor, ein Proteingebilde, das sich an bestimmte Bereiche des DNS-Moleküls anheften und eine Reihe von Genen an-oder abschalten kann und damit in der Lage ist, umwälzende Veränderungen innerhalb der Zelle zu bewirken.
Noch ist unklar, welche Gene die myc-max-Oligarchie zur Aktivität abkommandiert und welchen sie Schweigen auferlegt. Hunderte, wenn nicht gar Tausende von den hunderttausend Genen auf der menschlichen DNS enthalten womöglich die von dem Komplex erkannte Sequenz, und es kann Jahre dauern, bis man weiß, mit wie vielen dieser Gene das Paar kommuniziert und wodurch dieser Dialog zu zellulärem Wachstum, zu zellulärer Reifung oder, wenn es sein muss, auch zu zellulärem Harakiri führt. Zumindest ein Konversationspartner der beiden ist jedoch identifiziert. Myc und max scheinen das Zellwachstum anzuschalten, indem sie das Genprodukt eines Gens namens Rb abschalten. Dieses Protein dient im Normalfall dazu, die Spaltung einer Zelle in zwei Zellen zu unterbinden, indem es die Aktivität von Zellteilungsproteinen blockiert. Mit anderen Worten: Myc und max bringen Zellwachstum dadurch in Gang, dass sie denjenigen zum Schweigen bringen, der das Zellwachstum unterdrückt - genau die Art von verschränkter Maschinerie, an der die Natur offenbar so viel Gefallen findet.
39.
Die andere Seite des Selbstmords
Auf den ersten Blick läuft Selbstmord den Gesetzen der Natur zuwider. Er widerspricht zutiefst jenem robusten Instinkt, der alle Wesen dazu befähigt, bis zum Äußersten für ihr Leben zu kämpfen.
Doch wenn man es einmal kühl evolutionär überdenkt, kann Selbstmord nicht einfach als gewaltsame Verirrung oder als rein pathologisches menschliches Verhalten abgetan werden, das völlig außerhalb der Gezeiten von natürlicher Selektion und Anpassung abläuft. Selbstmord mit all seinen höchst privaten, überaus komplexen Ängsten und Sorgen ist in den meisten Ländern überraschend häufig: Ein Prozent aller Todesfälle geht auf sein Konto. Und wenn man die Zahl der fehlgeschlagenen Selbstmordversuche mit berücksichtigt, liegt die Häufigkeit um etliches darüber. Selbstmord, so die Meinung mancher Evolutionsgenetiker, ist zu verbreitet, als dass er sich durch Standarderklärungen wie soziale Missstände oder sporadische Fälle von psychischer Erkrankung erklären ließe.
Die gleichmäßige Verbreitung einer relativ hohen Selbstmordrate in den meisten Kulturen der Welt lässt vielmehr eine tiefere evolutionäre Komponente, eine möglicherweise darwinistisch fundierte Begründung für einen Akt vermuten, der allzu häufig vollkommen unbegründet erscheint. Der Hang zum Selbstmord könnte eine Begleiterscheinung eines Merkmals oder einer Gruppe von Merkmalen sein, das oder die an einem gewissen Punkt der evolutionären Historie denen, die damit gesegnet waren, gewisse Vorteile verschaffen konnte.
Eine weitere Unterstützung für das Argument einer genetischen Grundlage für die Neigung zum Selbstmord ist dessen Tendenz, familiär gehäuft vorzukommen. Obwohl in nahezu allen Ländern Selbstmord verübt wird, so ist er doch bei bestimmten ethnischen Gruppen weit häufiger als bei anderen. Ungarn und Finnen haben beispielsweise mit Selbstmord raten zu kämpfen, die zwei-bis dreimal so hoch liegen wie die der Vereinigten Staaten und der anderen Teile Europas. ,Bezeichnenderweise geht man davon aus, dass beide (neben den linguistischen Wurzeln, die die beiden Sprachen miteinander verbinden und von den indogermanischen Sprachen absetzen) auf gemeinsame genetische Wurzeln in ferner Vergangenheit zurückblicken. Hinzu kommt, dass diese erhöhte Selbstmordneigung nicht allein in Nationen zu beobachten
Weitere Kostenlose Bücher