Schön scheußlich
ohnehin kaum etwas so, wie es scheint. Raymond Chandler vergleicht in Der große Schlaf die Konsistenz von Orchideen mit der menschlichen Fleisches. Georgia O'Keeffe musste nicht allzu viel künstlerische Freiheit walten lassen, um ihren Darstellungen von Orchideen eine weiblich-erotische Ausstrahlung zu verpassen. Viele Orchideen sind nach Dingen benannt, denen ihre Blüten ähneln: Bienen-, Spinnen-, Fliegen-und Hummelragwurz beispielsweise, Frauenschuh und Waldvögelein.
Allen Orchideen sind jedoch einige wenige Details gemeinsam: ein zu einer vorstehenden Lippe umgebildetes Blütenblatt, das Insekten wie die Landebahn eines Flughafens zum Aufsetzen einlädt, und eine kleine Säule in der Mitte der Blüte, in der Staubblätter, Griffel und Narben des Fruchtknotens verschmolzen sind. Jede Blüte kann sowohl Pollen an eine andere Blüte übermitteln als auch den Pollen einer anderen Pflanze empfangen; nur wenige Arten sind jedoch in der Lage, sich selbst zu befruchten. Orchideen benötigen einen bestäubenden Organismus, der ihre Gene für sie transportiert. Nach der Befruchtung entwächst dem Blütenstiel eine Samenkapsel mit vielen tausend sehr kleinen, fruchtbaren Samen.
Orchideen leben zudem in gewissem Maß parasitisch. Ihre Samen sind winzig, nicht größer als ein Staubpartikel, und können deshalb keinerlei Proteine oder Nährstoffe mit sich tragen. Sobald er aus der Samenkapsel entlassen und auf irgendein Substrat geweht worden ist, muss ein Orchideensame seine Ernährung mit Hilfe eines Pilzes bestreiten, der in seiner Nachbarschaft sprießt. Verschiedene Orchideenarten sind für ihre Keimung auf verschiedene Helferpilze angewiesen. Die gesamte Lebensmaxime dieser Pflanzen scheint darin zu bestehen, alles umsonst zu bekommen. Viele Arten sind Epiphyten, Baumbewohner, die ihre Wurzeln träge herabbaumeln lassen, um Vitamine aus Vogelkot, verrottenden Blättern und anderen durch den Regen aus den Baumkronen herabgespülten Materialien zu ergattern.
Doch Faulheit allein vermag das Orchideendasein nicht hinreichend zu erklären. Viele scheinen überdies einen Hang zur Selbstzerstörung in sich zu tragen. Sie können sich potenziellen Bestäubern gegenüber dermaßen gemein und betrügerisch verhalten, dass sie von Insekten regelrecht gemieden werden. Manche Orchideen bedienen sich beispielsweise einer Art Katapult, um ihre Pollensäcke auf Bienen abzuschießen, die sich auf Blütenblättern niedergelassen haben.
Sie schleudern die Päckchen mit einer derartigen Kraft von sich, dass es die Bienen oft ein ganzes Stück weit davonträgt. Diese Bienen lernen rasch, die pflanzlichen Heckenschützen zu meiden.
Der rosafarbene Frauenschuh, ein besonders prächtiges Musterbeispiel, kommt in verschiedenen Nischen in ganz Nordamerika vor. Seine Blüten riechen und schmecken, als seien sie bis oben hin mit Nektar gefüllt. Doch sie sind inwendig nicht nur knochentrocken, sondern obendrein stellen sie eine eklige Falle dar. Wenn eine Biene sich in der Hoffnung auf einen guten Schluck auf der unteren Lippe des Frauenschuhs niederlässt, klappt die bewegliche Oberlippe herunter und schließt das Tier im Inneren ein. Der einzige Fluchtweg führt durch einen engen Hinterausgang. Wenn die Biene sich ihren Weg ins Freie erkämpft, muss sie an einem Staubblatt vorbei, an dem sie unfreiwillig mit Pollen beladen wird. Diese Begegnung ist derart unerfreulich, dass dieses Tier es vermutlich vermeiden wird, jemals in seinem Leben auf einem zweiten Frauenschuh zu landen. Für die Orchidee ist der Verdruss der Biene ein riskantes Geschäft, denn zum Abschluss einer erfolgreichen Befruchtung ist doppelte Leichtgläubigkeit auf Seiten der Insekten vonnöten: einmal, um den Pollen aufzunehmen, zum anderen, um ihn auf eine andere Blüte zu tragen.
In den fünfzehn Jahren, in denen er das Schicksal von etwa tausend Frauenschuhpflanzen im Nationalpark von Maryland verfolgte, stellte ein Naturforscher fest, dass es nur dreiundzwanzig Pflanzen fertig brachten, befruchtet zu werden - vermutlich von den ausgemachten Dummköpfen der lokalen Bienenpopulation.
Eine neuere Theorie zur Strategie der Orchideen hat eine Erklärung für derartiges augenscheinlich kontraproduktives Verhalten: Sie geht davon aus, dass diese Pflanzen wahre Spielernaturen sind und willens, zugunsten eines unsicheren, aber ungeheuer hohen Lohns wirklich alles auf eine Karte zu setzen. Die meisten Blütenpflanzen haben eine relativ hohe jährliche Befruchtungsrate,
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