Schön scheußlich
mutieren, selektiv verpaaren, auseinander nehmen, durcheinander wirbeln, vereinfachen, wieder zusammensetzen, opfern und durch all das letzten Endes verstehen lässt, wie es in dieser Weise bei einem Menschen niemals möglich wäre. Modellorganismen sind der Fels, auf dem der hohe Turm biologischer Grundlagenforschung gründet. Ohne sie müssten wir selbst herhalten und zum Segen der Wissenschaft umschichtig unsere Portionen an radioaktiven Präparaten schlucken.
Beim Betrachten der klebrigen DNS-Stränge im Inneren des Wurms haben die Wissenschaftler Gene gefunden, die auf verblüffende Weise den menschlichen Genen ähneln, die im Fall eines Defekts an der Entstehung von Krebs beteiligt sind. Lange hat die Forschung vergeblich versucht zu erkennen, wie menschliche Gene im Einzelnen arbeiten oder was ihre Funktion immer wieder stört. Bei diesem einfachen Wurm lässt sich das Verhalten der Gene genau verfolgen, und man kann entscheidende Erkenntnisse über die biochemischen Mechanismen bösartiger Veränderungen gewinnen. Gene, die im Embryo die Entwicklung von Muskel-und Nervengewebe aus Vorläuferzellen diktieren, Gene, die wandernde Zellen an die richtige Position im sich entwickelnden Rückenmark lotsen, Gene, die Zellen dazu bringen, einen dramatischen Selbstmord zu begehen - sie alle hat man in Fadenwürmern gefunden, und sie alle vermitteln einen Einblick in die zahllosen Rädchen und Triebfedern, Rhythmen und Signale, die ein jedes Leben ausmachen. Ende 1994 hatten die Biologen eine physikalische Karte der genetischen Information des Wurms so gut wie fertig gestellt: Aus zahllosen isolierten DNS-Stücken hatten sie die Anordnung der rund zehntausend Gene, die den Bauplan des Wurms festlegen, im Erbgut gen au bestimmen können. Diese physikalische Karte war die Erste ihrer Art für einen Organismus von höherer Komplexität als der einer Hefezelle (ein einzelliges Wesen), und die Nematodenbiologen verkünden mit der stolzen Zuversicht des wahren Gläubigen, dass es sich hierbei um ein großartiges Forschungsinstrument handle. Inzwischen sind die Genetiker dabei, jede Einzelne der fast hundert Millionen Basen zu sequenzieren - im wahrsten Sinne des Wortes zu buchstabieren - , die die zehntausend Gene und deren genetische Umgebung bilden. Das Projekt, dessen Kosten auf um die fünfzig Millionen Dollar geschätzt wurden, ist ein Nebenschauplatz des weitaus ehrgeizigeren internationalen Programms zur Kartierung und Sequenzierung der drei Milliarden Basen an menschlicher DNS. Während das menschliche Genomprojekt nach wie vor im Mittelpunkt erbitterter Debatten und transkontinentaler Rivalitäten steht und daher eher zuweilen holperig vonstatten geht, hatten die Wurmfreunde ihr großes Sequenzierungswerk bereits Weihnachten 1998 vollbracht, lange bevor unsere eigene Sequenz oder die irgendeines anderen höheren Tiers bekannt war.
Die Sequenzinformationen addieren sich zu einer bereits jetzt überaus soliden Wissensgrundlage über das Völkchen der Nematoden. Während Wissenschaftler über die Zahl der Zellen bei anderen Standardversuchstieren wie Taufliegen und Mäusen nur spekulieren können, wissen sie bei C.elegans ganz genau, wie viele Zellen dieser Organismus hat: Es sind genau 959. Sie wissen, wie viele Nervenzellen darunter sind - 302 - , und sie wissen, welches Neuron mit welchem verbunden ist. Dieser Fadenwurm ist das einzige Tier, von dem wir ein vollständiges Verkabelungsschema in der Hand halten, bei dem wir sagen können, wir wissen, wie jedes einzelne Neuron aussieht, wie seine Fortsätze gestaltet sind, wie seine Dendriten und Neurone mit anderen Nervenzellen verwoben sind. Die Biologen wissen auch, dass im Verlauf der Larvalentwicklung exakt 131 Zellen durch Zellteilung entstehen, die binnen dreißig Minuten nach ihrem Debüt sterben. Diese Zellen scheinen genetischerseits zu nichts anderem gut zu sein, als unmittelbar nach ihrer Entstehung der Zerstörung anheim zu fallen. Diese Ex-und-hopp-Vorgehensweise mag verschwenderisch erscheinen, aber die Wissenschaftler spekulieren, dass die dem Untergang geweihten Zellen anderen überlebenden Zellen helfen, ihr Ziel zu erreichen. Was auch immer der Grund für ihr kurzes Gastspiel sein mag, diese Zellen haben sich als überaus nützlich bei der Identifizierung von Genen erwiesen, die mit dem Tod von Zellen zu tun haben. Die Ergebnisse solcher Forschung werden uns vielleicht eines Tages helfen, so massive Zelldegenerationen zu verstehen, wie wir sie bei
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