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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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vorkommt - , so verschafft ihm dieses eine unglaubliche Popularität bei den Weibchen. Ein Männchen hingegen, dem man einen roten Federhut verpasst hat, zieht aus seiner modischen Erscheinung keinen Vorteil. Beide Entscheidungen scheinen keinerlei funktionelle Bedeutung zu haben. Die Weibchen konnten die weiße Federhaube kaum als Zeichen für besonders hochwertige Zebrafinkengene werten, denn Zebrafinken sollten überhaupt keine Kopfbedeckung tragen, gleichgültig welche Farbe diese hat. Solche Ergebnisse sprechen für die so genannte Theorie der sensorisch motivierten weiblichen Selektion, derzufolge weibliche Präferenzen eher ein Ausdruck sind, wie die sinnliche Wahrnehmung und das Gehirn des Tieres arbeiten - worauf das Gehirn besonders ausgerichtet ist und welche Parameter seiner Umgebung es ignoriert - , statt Resultat der sorgfältigen Abwägung männlicher genetischer Trümpfe durch die Weibchen zu sein.
    Jede Hypothese auf dem Gebiet der sexuellen Selektion hat ihre ausdrücklichen Gegner, und die Untersuchungen zur Symmetrie machen da keine Ausnahme. Kritiker bemängeln, dass ein Teil der Unterschiede, die Wissenschaftler gegenwärtig im Hinblick auf die Körperproportionen messen, so minimal sind, dass sie nur auffallen, wenn man die Flügel des Tieres mit einer Schieblehre misst. Sie fragen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Skorpionsfliegenweibchen, das sein Leben ohne die Vorzüge eines hoch entwickelten wissenschaftlichen Instrumentariums fristen muss, diese minimalen Unterschiede zwischen zwei potenziellen Partnern bemerkt. Auch ist nie bewiesen worden, dass ein symmetrisches Individuum besonders hochwertige Gene besitzt. »Die Leute stürzen sich auf diese Idee von der Symmetrie, weil das etwas ist, was sie messen können«, sagte jemand.
    Worin auch immer ihre Relevanz für die tierische Sexualität bestehen mag, Symmetrie ist ein künstlerisch befriedigendes Konzept, dem Maler, Bildhauer und Architekten seit mindestens fünftausend Jahren anhängen, spätestens seit die Ägypter begonnen haben, ihre streng symmetrischen, ja sogar unerbittlich symmetrischen Tempel zu bauen. In seinen berühmten Gemälden Schule von Athen und Disputa beispielsweise setzt der Renaissancemeister Raffael den Menschen auf der linken Seite seiner Leinwand exakt dieselbe Anzahl an Personen und ganz ähnliche Arrangements auf der rechten Seite gegenüber. Symmetrie und Proportion galten als Teil des göttlichen Plans, als irdische Reflexion himmlischer Vollkommenheit.
    Genauso scheint die Symmetrie Teil des Plans der Natur zu sein. Die meisten Tiere verfügen über eine bilaterale Symmetrie ihres Körpers: Gliedmaßen und Körperteile sind spiegelbildlich zu einer zentralen Körperachse angeordnet. Viele Pflanzen weisen eine radiäre Symmetrie auf: Sämtliche Blütenblätter entsprießen in gleichmäßiger Anordnung einem zentralen Punkt. Viele Viren zeigen einen geradezu mathematisch-kristallinen Grad an Symmetrie, ebenso wichtige zelluläre Strukturen, die die Teilung der Zelle kontrollieren.
    Erst im Jahr 1990 begannen Wissenschaftler sich für die mögliche Bedeutung der Symmetrie bei der Partnerwahl zu interessieren. Dr. Anders Möller, Evolutionsbiologe an der Universität Uppsala, untersuchte Rauchschwalben, eine Vogel art, bei der die Männchen lange, im Fischgrätenmuster angeordnete Schwanzfedern tragen. Er hatte festgestellt, dass Weibchen bei ihren Männchen die Schwanzfedern gern lang haben - je länger je lieber. Doch bei einem Versuch, die Federn experimentell zu manipulieren, machte er eine weitere Entdeckung: Weibchen bevorzugen außerdem symmetrische Schwänze, bei denen beide Seiten der Fischgrätenanordnung dieselben Längen und Färbungen zeigen.
    Durch Herumspielen mit verschiedenen Parametern Hinzufügen und Stutzen der Schwanzfedern oder Einfärben verschiedener Muster - stellte Dr. Möller fest, dass Länge und Symmetrie ungefähr gleich lagen, was die weiblichen Ansprüche betraf. Mit anderen Worten: Ein langer, leicht unebener Schwanz und ein kurzer, symmetrischer Schwanz schnitten in etwa gleich ab, doch wenn ein Weibchen ein Männchen mit langem, ausgewogenem Schwanzgefieder zur Auswahl hatte, gab es kein Aber. Ein derart gut gebautes Männchen erwies sich als unvergleichlich verführerisch. In anderen Experimenten führten Wissenschaftler die landläufige Vermutung, dass das größte Männchen stets als Sieger aus einem Vergleich hervorgehen werde, ad absurdum, indem sie zeigten,

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