Schön scheußlich
er der Jungfrau Maria eröffnet, dass sie den Sohn Gottes zur Welt bringen werde, wird Maria der Jesus-Homunkulus in einem Lichtstrahl zugesandt. In unserer modernisierten Homunkulus-Hypothese ist der kleine Mann oder die kleine Frau in vier Hox-Gen-Gruppen auf den Chromosomen verankert, gut verborgen im nebulösen Kerninhalt früh embryonaler Zellen.
Andere Entwicklungsbiologen interessieren sich weniger für die räumliche Anordnung der Hox-Gene auf der DNS als vielmehr dafür, wie diese Gene ihr Wunderwerk vollbringen und dazu beitragen, das Muster des Embryos zu formen. Ihren Namen erhielten sie vor einigen Jahren, als Genetiker an Taufliegen untersuchten, was geschieht, wenn man diese Gene künstlich verändert. Sie bombardierten die Insekten mit massiv dosierten Röntgenstrahlen und stellten fest, dass ein Teil des Fliegennachwuchses mit überraschenden Anomalien aufwartete: Es gab verdoppelte Flügelpaare, einen verdoppelten Thorax oder ein Paar Beine oben auf dem Kopf, wo eigentlich ein Paar Fühler hätte sitzen sollen. Den Wissenschaftlern wurde rasch klar, dass die Bestrahlung im Prinzip die Entwicklungsgene reprogrammiert und damit ganz normale Körperteile an Stellen hatte wachsen lassen, wo sie nicht hingehörten. Die Beine auf dem Fliegenkopf waren ganz normale gesunde Beine, aber eine Fliege sollte auf der Stirn eben keine Beine, sondern Fühler tragen. Diese Art von Mutationen nannte man homöotisch - was so viel wie ähnlich bedeutet - , denn durch sie entstanden an mehr als einer Stelle des Fliegenkörpers ähnliche Körperteile.
Bei der genaueren Untersuchung dieser Entwicklungsgene fiel den Biologen auf, dass jedem von ihnen dieselbe molekulare Sequenz eigen war, die sie als Homöobox bezeichneten. Diese Sequenz ist kurz, sie umfasst nur 183 von den vielen tausend Basenpaaren - den DNS-Bausteinen - eines einzelnen Gens. Die Tatsache jedoch, dass dieses Motiv so häufig zu beobachten war, gab Anlass zu der Vermutung, dass die Sequenz im Verlauf des embryonalen Wachstums eine entscheidende Rolle spielen muss. Fortan bezeichnete man Entwicklungsgene, die eine Homöobox enthielten, als HoxGene.
Inzwischen haben Wissenschaftler herausgefunden, dass die Homöobox die DNS-bindende Domäne des späteren Proteins darstellt. Wenn ein Hox-Gen anspringt und sein Protein zu produzieren beginnt, sorgt die Homöobox dafür, dass dieses eine flotte kleine Korkenzieherwindung bekommt. Diese Gestalt ermöglicht es dem Hox-Protein, sich gekrümmt um die Doppelhelix zu legen und andere Gene zu aktivieren.
Dennoch können Untersuchungen an Taufliegen, so entscheidend sie für die Geschichte der Hox-Gene auch gewesen sein mögen, nur bis zu einem gewissen Grad erklären, wie ein Säugetier entsteht, und die Wirbeltierbiologen haben dem ein ganzes Stück weiter nachgespürt. Manche von ihnen schalten bei ihren Versuchsmäusen systematisch gewisse Hox-Gene aus, um zu analysieren, wie die Entwicklung des Tieres durch das Fehlen des einen oder anderen der achtunddreißig Mitwirkenden beeinträchtigt wird. Sie bedienen sich mühsamster Methoden, um Hox-Gene in embryonalen Mäusezellen zu zerstören und aus diesen Zellen genetisch defekte Nagerlinien zu ziehen. Je nachdem, welches Hox-Gen der Versuchsmaus vorenthalten wird, erblickt sie das Licht der Welt mit bestimmten Arten von Geburtsfehlern. Legt man in den embryonalen Mäusezellen beispielsweise Hox A-3 lahm, kommt das Junge mit einem breiten Spektrum an Fehlern zur Welt: Es hat Herzfehler, Missbildungen am Schädel und im Gesicht, und ihm fehlt der Thymus, das Organ, in dem die Zellen des Immunsystems reifen. Mögen die Missbildungen auf den ersten Blick auch verstreut und unzusammenhängend erscheinen, so lassen diese Forschungsarbeiten doch darauf schließen, dass alle betroffenen Organe aus demselben Segment des frühen Embryos hervorgehen müssen. Drückt das Hox-Gen diesem Abschnitt nicht den Stempel für das passende Design auf, so verläuft dessen Entwicklung grob gestört, und alle Organe, die aus ihm hervorgehen, haben unter den Folgen zu leiden.
Doch viele Rätsel sind noch offen, weit mehr, als man bis heute gelöst hat. Zu den größten Geheimnissen gehört die Frage, welche Gene von den Hox-Genen aktiviert werden und was im Einzelnen passiert, wenn die Zielgene antworten. Schalten sie ihrerseits andere Gene an? Erhöhen sie die Fähigkeit der sich entwickelnden Zellen, auf Signale aus der Nachbarschaft zu reagieren? Erst wenn die gesamte Folge von
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