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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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endloser Folge aneinander reihen, sind entweder harmlose Füllsel-jede Menge molekulares Polystyrol zur sicheren Verpackung der Gene - oder erfüllen einen tieferen Sinn, der erst noch zu entschlüsseln ist.
    Vor allem anderen liefert die Biolinguistik den Forschern eine Methode, jene wichtigen drei Prozent aus dem biochemischen Hintergrundrauschen herauszupicken. Sie versucht, die Wörter auszumachen, ohne sich darum kümmern zu müssen, was diese bedeuten. Dr. Trifonov hat einen Computeralgorithmus entworfen, der aus einer langen DNS-Sequenz eine Sinn enthaltende Folge herauszufiltern vermag, indem er nach einem Kontrastwort sucht, einer Reihe von Nukleotiden, die immer oder beinahe immer in derselben Reihenfolge auftauchen. Eine solche Sequenz ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Bestandteil eines echten Wortes, kein benachbarter Teil anschließender Wörter und auch keine völlig zufällige Buchstabenfolge. Ein Beispiel: Die erschöpfende Analyse des Englischen ergibt vielleicht das Kontrastwort ookie als Kern des Wortes cookies. Wenn Sie auf diese Sequenz stoßen, so Dr. Trifonov, wissen Sie, dass Sie den Buchstaben c irgendwo stromaufwärts, das heißt weiter vorn auf dem Strang finden und den Buchstaben s stromabwärts.
    In der Sprache der DNS sind die Kontrastwörter Sequenzen von etwa fünf Nukleotiden Länge, die sich zu häufig in einer bestimmten Anordnung finden, als dass dies Zufall sein könnte. Woraus sich schließen lässt, dass sie zu Wörtern gehören müssen. Sie haben also eine Botschaft zu übermitteln und gehören nicht zu dem übrigen Gestammel der mutmaßlichen]unk-DNS. Die Botschaft kann das Signal für den Einbau einer oder mehrerer Aminosäuren sein oder auch für die Synthese eines Stückchens Transfer-RNS, einer Gruppe kleiner Moleküle, die maßgeblich daran beteiligt sind, aus einem Stück DNS ein funktionierendes Protein herzustellen. Vielleicht ist die Botschaft auch etwas ganz anderes, das weiterer Untersuchung harrt. Generell gilt, dass die Teile des Genoms mit der höchsten Komplexität und Vielfalt an Kontrastwörtern Bereiche sind, die der Zelle Anweisungen zu Aspekten des Überlebens vermitteln. Obendrein gibt es innerhalb dieser komplexen Regionen verschiedene Dialekte. Manche Teile des DNS-Moleküls bestehen aus Sequenzen, die eindeutig Signale für die Synthese von Proteinen darstellen - beispielsweise für die Synthese eines Wachstumshormons oder eines Enzyms, das bei der Metabolisierung von Nährstoffen hilft. Andere Sequenzen erfüllen vielleicht eher architektonische Funktionen ähnlich den gestrichelten Linien bei einer Ausschneidepuppe, die Ihnen sagen, welche Teile Sie zu falten oder wo Sie die Lasche einzustecken haben. In diesem Fall dienen die Sequenzen als Instruktionen dafür, wie das DNSMolekül zu krümmen und zu knicken ist, damit es letztlich im Zellkern in der richtigen Anordnung vorliegt.
    Wissenschaftler haben innerhalb des Genoms Wörter gefunden, die überaus selten sind, so als widerstrebten sie dem Organismus wie ein Fluch. Viren, die Bakterien befallen, verfügen beispielsweise über nur sehr wenige Sequenzen, an die sich Bakterienenzyme heften könnten - wodurch die Möglichkeiten des Bakteriums, die virale DNS zu zerstören, drastisch eingeschränkt werden. Ganz vermeiden lassen sich diese Sequenzen nicht, und hin und wieder erspähen die Bakterienenzyme auf der viralen DNS ein Angriffsziel. Aber die natürliche Selektion ist ein rigoroser Zensor und hält solche unanständigen Wörter auf einem absoluten Minimum.
    Doch trotz aller Fortschritte bei ihren Bemühungen, die Linguistik der DNS zu verstehen, müssen die Biologen letztlich anerkennen, dass die Ausdrucksmöglichkeiten des Genoms an Komplexität alles übertreffen, was wir bislang an Sprachen kennen. Manche DNS-Sequenzen lassen sich als Träger vielfältiger Botschaften betrachten, die in biochemischer Polysemie eine in die andere verschränkt sind. Die Phrase beispielsweise, die der Zelle mitteilt, wie ein Protein herzustellen ist, enthält im Grund drei verschiedene Sätze von Anweisungen: Erstens sagt sie der Zelle, welche Aminosäuren das Protein enthalten soll. Zweitens informiert sie die Zelle, wie sie die chemische Zwischenbotschaft RNS herzustellen hat, auf deren Grundlage das Protein zusammengefügt wird. Drittens sagt sie der Zelle, wie sie das frisch produzierte Protein zu seiner funktionstüchtigen Form zu falten hat. Und alle drei Informationen werden gleichzeitig

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