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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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und beanspruchen gewaltige Dungmengen für sich, sobald sie den Fladen erreicht haben. Doch da ein kleinerer, schwächerer Käfer mit derselben Wahrscheinlichkeit am Ort der wunderbaren Gabe zur Stelle sein wird wie ein größerer, aggressiverer, hat auch die schwächere Art eine Chance, und der Größere wird ihn nicht immer und überall ausstechen können. Die zufällige Verteilung des Dungs verleiht der Überlebenswahrscheinlichkeit ein entscheidendes Element des Zufalls, und dieses Element begünstigt die Koexistenz vieler Arten. Im Casino der Natur halten Fortune und Fitness gemeinsam das Glücksrad in Bewegung.

19.
Nichts geht über eine Schabe
     
     
    Wenn Abwesenheit das Herz weicher stimmt, dann ist dies vielleicht der Augenblick, der Schabe eine kleine Feierstunde zu widmen.
    In jüngster Zeit ist es mehr und mehr Stadtbewohnern vergönnt, des Nachts ihre Küche in der frisch erworbenen Zuversicht zu betreten, dass sie das Licht anknipsen, ein Glas aus dem Schrank, ja sogar einen Keks aus der Schachtel auf dem Tisch nehmen können, ohne den verhassten Anblick Dutzender glänzend brauner Schaben fürchten zu müssen, die eilig Unterschlupf suchen. Eine neue Generation von Insektiziden, in unauffälligen Döschen als Fraßköder wohl verpackt oder auch von den örtlichen Kammerjägern in höheren Dosen versprüht, haben es vermocht, die allgegenwärtige Hausschabe in ihre sechs spindeligen Knie zu zwingen.
    Dieses Geschöpf ist dennoch alles andere als vom Aussterben bedroht, in Restaurants, Krankenhäusern und vielen innerstädtischen Wohnblocks ist und bleibt es ein ernst zu nehmendes Problem. Die neuen Insektizide aber, die Mitte der achtziger Jahre eingeführten Amidinohydrazone, haben in die weniger extremen Vorkommen eine deutliche Bresche geschlagen. Es gab eine Zeit, da tauschten die Leute auf Partys Kakerlakenstorys aus; heute fragt sich jeder, wie etwas so Nettes und Modernes wie das Insektenmittel Combat eine so schmutzige Arbeit so sauber erledigen kann.
    Insektenforscher spekulieren, dass die neuen Substanzen die Hausschabenpopulation je nach Höhe des Vorkommens um fünfzig bis fast einhundert Prozent werden verringern können. Nicht minder ermutigend zeigen Schabenstudien rings im Land, dass diese Insekten keine Anzeichen einer beginnenden Resistenz gegen Amidinohydrazone zeigen, wie dies bisher bei nahezu jeder anderen in der Vergangenheit gegen sie eingesetzten giftigen Verbindung der Fall war. Und sollte es diese Kreatur irgendwie fertig bringen, gegen die Wirksamkeit gegenwärtiger Pestizide anzumutieren, warten im Hintergrund noch jede Menge anderer hoch wirksamer Verbindungen, von denen etliche sich auf subtile Kenntnisse der Gewohnheiten und der Biologie dieses Insekts gründen.
    Da wir nun also nicht mehr länger jede Mahlzeit und jeden Quadratzentimeter Regalfläche mit unwillkommenen Schmarotzern teilen müssen, können wir in unserer Haltung Schaben gegenüber vielleicht etwas weniger drastische Perspektiven in Betracht ziehen als das Armageddon der Kammerjäger. Vielleicht spüren wir, wenn schon nicht aufrichtige Bewunderung, so doch wenigstens eine distanzierte Bewunderung für ihre lange Geschichte, ihre Ausdauer und ihre ökonomische Ressourcennutzung. Bei tropischen Arten - wo diese Wesen ihren Platz kennen und dieser sich nicht mit dem unseren überschneidet - legen die Insekten das unschabenhafteste Verhalten an den Tag, das man sich denken kann. Manche Schabenweibchen sind hingebungsvolle Mütter, tragen ihren Nachwuchs kängurugleich in kleinen Taschen mit sich herum, statt ihre Eier irgendwo abzulegen und die Larven ihrem metamorphischen Schicksal zu überlassen, wie dies bei den meisten anderen Insekten der Fall ist. Eine Schabenart vollführt sogar eine Art Insektenäquivalent des Stillens.
    Die umsichtige Fürsorge ist aber nicht allein auf das Muttertier beschränkt. Während viele männliche Tiere außer einer kleinen DNS-Spende nichts Wesentliches zum Wohlergehen ihres Nachwuchses beizutragen haben, gehen manche Schabenmännchen in ihrer väterlichen Fürsorge sehr viel weiter: Sie fressen Vogelkot nur zu dem Zweck, um daraus Stickstoff zu extrahieren, den sie dann an ihre Jungen verfüttern. Eine Schabenart lebt in den Baumrinden Mittelamerikas und verfügt über einen Sozialverband, der mit dem von Termiten oder Bienen zu vergleichen ist. Männchen und Weibchen tun sich für die fünf bis sechs Jahre, die die Art bis zur Erreichung der Geschlechtsreife benötigt,

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