Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
Vom Netzwerk:
zu Paaren zusammen, um die Larven großzuziehen. Sämtliche Angehörige eines Nests bewahren sich durch gegenseitiges Bürsten und Fühlerstreicheln sowie durch die Ausschüttung besänftigender Pheromone (chemische Signalsubstanzen, die aus Drüsen am Thorax des einen Insekts abgesondert und durch Rezeptoren an den Fühlern des anderen wahrgenommen werden) einen Sinn für ihre Gruppenzugehörigkeit und Kooperation.
    Schaben reagieren ungemein sensibel auf den leichtesten Lufthauch oder Geruch. Diese Fähigkeit verdanken sie ihren ungewöhnlich langen Fühlern. Derartige chemische und taktile Sensitivität in Kombination mit einem Nervensystem aus extrem großen Zellen machen die Schabe zu einem idealen Versuchstier zur Untersuchung der Arbeitsweise von Nervenzellen. Die Rezeptoren zur Wahrnehmung von Luftbewegungen oder chemischen Signalen befinden sich bei den Schaben auf der Körperaußenseite und lassen sich daher leicht analysieren. Und ihr Kopf lebt und reagiert noch zwölf Stunden nach der Enthauptung. Unter den Neurobiologen sind die Schaben zum Äquivalent der weißen Ratte geworden. Sie stehen im Mittelpunkt von Lehrbüchern, die genau beschreiben, wie sie zu manipulieren und zu sezieren sind und warum all das der Mühe wert ist. Und außerdem müssen Schabenforscher wenigstens nie und nimmer fürchten, dass militante Tierschützer zu mitternächtlicher Stunde in ihre Labors eindringen, um ihre Versuchstiere zu befreien.
    Eine Wissenschaftlerin von der University of Illinois hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Ruf der Schabe aufzupolieren. Jahr für Jahr hält Mary Berenbaum ein »Insektenphobie-Filmfestival« ab, bei dem sie Filmausschnitte vorführt, um das Interesse der Öffentlichkeit an Insekten zu wecken und Schauermärchen zu entlarven. Und einer der häufigsten Darsteller auf ihrer Leinwand ist die Schabe. In Kurz-und Trickfilmen wird die Schabe oft als mitfühlender Charakter dargestellt. Ein Streifen, All's Quiet in Sparkle City, ein Antikriegsfilm aus den frühen siebziger Jahren, setzt die Bestrebungen zur Massenvernichtung von Schaben dem Völkermord gleich. Eine Komödie aus dem Jahr 1989, Dr. Ded Bug, schildert aus der Insektenperspektive, wie ein rasender Koch versucht, eine Schabe zu erlegen. Zeichentrickschaben reden wie Mickymaus stets mit hohen, zwitschernden Stimmen und lächeln so gut wie immer. Zumindest im Trickfilm ist Ungeziefer Ihr Freund.
    Ob Schaben einem nun ans Herz wachsen oder nicht, sie verdienen zumindest einigen Respekt allein aufgrund ihres hohen evolutionären Alters und ihrer enormen Vielfalt. Man hat Fossilien von schabenähnlichen Arten gefunden, deren Alter auf zweihundertachtzig Millionen Jahre datiert wurde, und manche Insektenforscher glauben, dass diese Lebewesen im Silur, das heißt vor über vierhundert Millionen Jahren, entstanden sein könnten. Käfer sind dagegen nur einhundertfünfzig Millionen Jahre alt, Schmetterlinge hingegen jugendliche sechzig Millionen.
    Schaben gibt es in so ziemlich jedem Teil der Welt. Die große Mehrzahl der viertausend bekannten Arten lebt jedoch im Äquatorgürtel (und schätzungsweise einige weitere Tausend sind noch in den Tropen zu entdecken, wo ohnehin so gut wie alles noch entdeckt werden muss). Schaben variieren in ihrer Größe zwischen einem halben Zentimeter und der abschreckenden Länge jener zentralamerikanischen Großschabe, die die Ausmaße einer kleinen Ratte annehmen kann. Allen Schaben gemein sind sehr lange, segmentierte Fühler, ein ledriges Paar Deckflügel, die einigen Arten aus wärmeren Zonen die Fähigkeit zum Fliegen verleihen, im Übrigen aber funktionslos sind, und der berühmte, ein wenig nach unten geneigte und nach hinten leicht verjüngte Schabenkopf. (Jeder, der Schaben kennt und verabscheut, ist mit diesem unverwechselbaren Profil vertraut, und wenn Sie der Kopf einer Gottesanbeterin an den einer Schabe erinnert, so deshalb, weil die beiden eng miteinander verwandt sind.)
    Einige kleinere Schabenarten tragen eine auffallende Färbung: Sie sind karmesinrot, moosgrün, creme weiß oder hellbeige. Das ungewöhnlichste Beispiel ist saphirblau mit bronzefarbenen Flecken und feinen roten Streifen. Diese Art ist so hübsch, dass ein Wissenschaftler erklärte, wenn sie keine Schaben-sondern eine Vogelart wäre, würde sie längst von Leuten gekauft und in Käfige gesperrt. Nur eine einzige Schabenart wird tatsächlich oft als Haustier gehalten: die fast acht Zentimeter lange Madagaskar-Schabe, die

Weitere Kostenlose Bücher