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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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gewalttätig zugleich. Sie sind Killer, deren Gebräu aus tödlichen und lähmenden Giften zu den komplexesten Substanzgemischen der Natur gehört, und sie sind ein evolutionäres Musterbeispiel stromlinienförmigen Designs und eleganter Anpassung. Wer außer einer Schlange könnte sagen: »Guck mal, Mama, ohne Hände; guck mal, Mama, ohne Füße; guck mal Mama, ohne Zähne«, und das mit so viel Gefühl?
    Hinter jeder wissenschaftlichen Mode steht irgendwo eine technische Neuheit, und der neue Trend in der Schlangenforschung macht da keine Ausnahme. Dank der jüngsten Fortschritte auf dem Gebiet der Radiotelemetrie können die Biologen Grubenottern nun mit Miniatur-Radiosendern ausrüsten und jedem schlängelnden, verborgenen Geschöpf nachspüren, wo auch immer es Zuflucht sucht. In der Vergangenheit ließ sich dieselbe Schlange so gut wie nie zweimal finden. Mit Hilfe der Telemetrie sind den Forschern einzelne Tiere jedoch so vertraut geworden wie Jane Goodall jeder ihrer Schimpansen.
    Auf den Spuren der Prärieklapperschlangen in Wyoming haben Wissenschaftler herausgefunden, dass die Männchen sich während der Paarungszeit allmorgendlich aus ihrem Unterschlupf aufmachen, um auf einer zermürbenden 10-Kilometer-Rundreise nach einem willigen Weibchen zu suchen. Auf ihrer Reise folgen sie einer schnurgeraden Linie, die so präzise ist, als habe sie ein Zeichner am Reißbrett gezogen. Sollten sie von ihrem Weg abweichen müssen, weil vielleicht ein Baumstamm oder ein Tümpel im Weg ist, so kehren sie so rasch wie möglich auf ihren vorherigen Kurs zurück.
    Computersimulationen zeigen, dass es für dieses zwanghafte Verhalten einen triftigen Grund gibt: Weibchen sind in der Regel in zufälligen Anhäufungen in der Natur verteilt, da sie auf Nagetiere aus sind, die ihrerseits in Häufungen vorkommen. Die Männchen begehren die Weibchen, und wenn sie statt einem Zickzack-Kurs eine gerade Linie verfolgen, optimieren sie ihre Chancen, irgendwann einer Partnerin zu begegnen. Je gerader der Weg, umso größer die Chance, mit ihr zusammenzustoßen.
    Und mit diesem Zusammenstoß geht das Spektakel los. Ein Schlangenmann findet seine Geliebte selten allein, sondern muss sich zumeist einen hoch ritualisierten Kampf, einen so genannten Kommentkampf, mit den konkurrierenden Männchen am Ort liefern. Dieser Kampf ähnelt auf verblüffende Weise einer körperlosen Version des Armdrückens. Die beiden Männchen richten sich auf, umschlingen einander wie die zwei Exemplare an einem antiken Merkurstab und versuchen, einander mit Gewalt zu Boden zu zwingen.
    Sie sind Gentleman-Ringer und halten ihre giftigen Fangzähne verborgen. Ihr Kampf dauert Stunden und endet nicht selten unentschieden. Bei den Kupferköpfen geht ein einmal bezwungenes Männchen in einem dermaßen demoralisierten Zustand aus der Begegnung heraus, dass noch Tage danach auch die schwächsten Männchen, die sonst nie die Stirn hätten, einen Kampf vom Zaun zu brechen, sich trauen, den Verlierer anzugreifen, und ihn tatsächlich besiegen. Hinter dem bemitleidenswerten Verhalten des Geschlagenen steht ein schwankender Hormonspiegel. Genauer gesagt, ein Anstieg des Stresshormons Kortisol und ein Abfall der Testosteronkonzentration, der die Männchen ihre normalerweise beachtliche Aggressivität verdanken. Gelegentlich zieht ein Kupferkopfweibchen seinen Nutzen aus diesem Verlierersyndrom: Wenn das Weibchen sich einem potenziellen Partner nähert, imitiert es ein zweites Männchen, richtet sich auf, als sei es bereit zum Gefecht. Schreckt die Verstellung den Bewerber ab, hat das Weibchen den Beweis dafür, dass er ein Verlierer ist, und zieht ihn als Vater nicht länger in Betracht. Die Weibchen paaren sich fast ausnahmslos mit den Gewinnern.
    Aber selten. Die meisten Vipern-oder Otterweibchen paaren sich höchstens alle drei bis fünf Jahre, weshalb ein fruchtbares Weibchen heiß begehrt und mächtig umkämpft ist. Wenn im Frühling ein ovulierendes Weibchen auftaucht, warten außerhalb ihres Unterschlupfs unter Umständen bereits Hunderte von Männchen, eine Versammlung, die sich als explosiver Paarungskonvent erweist. Sobald die Begehrte auftaucht, nimmt das Turnier der betörten Männchen seinen Lauf. Nach Stunden oder Tagen des Kämpfens gibt es am Ende einen Gewinner, der sich nun dem Weibchen nähert und es mit sanftem Kinnreiben und Züngeln umwirbt. Am Ende wird er, wenn er Glück hat, mit der Kopulation belohnt. Auch dieser Akt dauert Stunden oder Tage, wobei

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