Schön tot: Ein Wien-Krimi (German Edition)
Wassers wider“, fuhr er fort, Süßholz zu raspeln. „Und deine Lippen scheinen nur darauf zu warten, geküsst zu werden …“
„Blablabla“, murmelte ich und machte mir einen Espresso. Das laute Geräusch der Maschine übertönte seine nächsten Worte.
„Ja, ja, ist schon okay. Bitte geh jetzt. Ich muss hier Schluss machen.“
„Darf ich dich wenigstens nach Hause begleiten?“
Ich schüttelte energisch den Kopf. Er wirkte enttäuscht. Gab sich aber verständnisvoll. Nahm mein Gesicht in beide Hände und gab mir einen zärtlichen Kuss auf den Mund.
Der Knabe hat schöne Hände, schmale, lange Pianistenfinger. Hart gearbeitet hat der in seinem Leben sicher nie, dachte ich und bereute beinahe, ihn abgewiesen zu haben.
Ich hatte an diesem Abend tatsächlich vor, gleich nach der Arbeit heimzugehen und mich aufs Ohr zu legen. Orlandos neuer Super-Busen und meine Reizwäsche von Midinette befanden sich nach wie vor in meiner Handtasche. Außerdem hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Orlando heute kein einziges Mal angerufen hatte.
Nachdem ich abgeschlossen hatte, machte ich noch eine kleine Runde durch die Innenhöfe des Schlossquadrats. Schaute, ob in einem der anderen Lokale noch was los war.
Es herrschte bereits angenehme Stille. Selbst die großen Kolkraben auf den knorrigen Ästen des alten Kastanienbaums schienen schon zu schlafen.
Hinter einem der Fenster im obersten Stock schimmerte ein schwacher Lichtschein. Ich vermutete, dass der Gergely noch in seinem Büro saß, machte kehrt und ging zum anderen Durchgang, in dem mein Rad stand. Die Nacht war sternenlos. Es war stockfinster.
Plötzlich tauchte ein dunkles Ungetüm vor mir auf. Erschrocken zuckte ich zusammen. Dann entkam mir ein erleichtertes Lachen. Ich war fast in Gergelys alten Traktor reingerannt. Auch so ein Spleen von unserem „Schlossherrn“. Wozu brauchte er einen Traktor mitten in der Stadt? Im Schlossquadrat herrschte zwar eine fast ländliche Idylle, aber weit und breit gab es keine Felder zu bestellen.
9
Auf den Straßen war nicht mehr viel los. Die elektrischen Margariten waren ausgeschaltet.
In meiner Wohnung empfing mich ebenfalls kalte Finsternis. Orlando war nicht zuhause. Er hatte mir keine Nachricht hinterlassen. Allerdings war mein PC eingeschaltet.
Ich sah sofort nach, auf welchen Webseiten er sich herumgetrieben hatte. Pornos, nichts als Pornos und Partnervermittlungsseiten. Mein verdammter Kontrollzwang! Aber ich kam einfach nicht dagegen an. Vielleicht sollte ich Dr. Mader davon erzählen? Manchmal sah ich drei- oder gar viermal nach, ob ich den Herd wirklich ausgeschaltet oder die Wohnungstür zugesperrt hatte. Ich ging mir dabei selbst auf die Nerven.
Ich war nicht gerade eine Ordnungsfanatikerin. Beim Anblick meines verwüsteten Badezimmers konnte sich Orlando jedoch dazu beglückwünschen, dass er nicht da war. Meine schönsten Handtücher lagen in Wasserlachen auf dem Boden. Die Dusche war voller Haare. Und überall standen plötzlich Fläschchen und Döschen. Entweder hatte Orlando all sein Schminkzeug aus seiner Wohnung geholt oder er hatte den halben Vormittag in einem Drogeriemarkt verbracht.
Als er um ein Uhr früh noch nicht zurück war, begann ich mir Sorgen zu machen. Ich begab mich auf die Suche nach ihm. Es hatte zu regnen begonnen. Ich setzte die Kapuze meines Sweaters auf und lief los.
Nach Mitternacht hatten in Margareten nicht mehr allzu viele Lokale geöffnet. Ich erinnerte mich, dass er manchmal in die Wiener Freiheit, ein Schwulenlokal in der Schönbrunnerstraße, ging. Ich fühlte mich dort deplatziert, obwohl außer mir auch andere weiblich aussehende Wesen an der Theke lehnten. Vor allem ausländische Transen mit ihren Freunden, wie ich bald bemerkte.
Ich schaute mich in allen Nebenräumen und sogar auf den Toiletten um. Dann fragte ich den Kellner, ob er Sisi kennen würde und ob sie heute da gewesen wäre. Als er verneinte, ging ich wieder.
Kaum hatte ich die Wiener Freiheit verlassen, bildete ich mir ein, dass mir jemand folgte. Ich blieb abrupt stehen. Drehte mich um. Sah niemanden. Trotzdem vernahm ich wieder Schritte hinter mir, als ich weiterging.
Wunderbar, Kafka, jetzt kriegst du auch noch Verfolgungswahn, dachte ich und beschloss, den Schritten keinerlei Beachtung mehr zu schenken. Die Straßen waren menschenleer. Die Gehsteige trocken. Aber von den Hausdächern tropfte es. Vielleicht hatte ich das Geräusch der Tropfen für Schritte gehalten?
Obwohl das Motto
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