Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SCHÖN!

SCHÖN!

Titel: SCHÖN! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebekka Reinhard
Vom Netzwerk:
einstuft), als auch der Liebe zu den Frauen (die nie nachhaltig befriedigt, weil sie ebenso schnell erglüht, wie sie verbrennt). Die höchste Form der Freundschaft sieht er in der geistigen Verbindung zu einem Menschen, bei dem seine Geheimnisse sicher sind. Der ihm genauso viel Gutes tut wie er ihm, mit dem er sich ohne Reue in die Haare kriegen und von dem er sagen kann: »Er ist ich.« Um eine solche Freundschaft, rät Montaigne, sollten wir alle kämpfen. Denn sie zählt zu den wichtigsten Zutaten für ein schönes, gelungenes Leben.
    BÜCHER: Da es nicht leicht ist, wahre Freunde zu finden und Montaigne mit zunehmendem Alter auch nicht mehr ganz so viel Lust auf die Frauen hat, wird ihm die Beziehung zu seinen Büchern immer wichtiger: »Sie sind die beste Wegzehrung, die ich für unsere irdische Reise gefunden habe, und ich bemitleide zutiefst alle Menschen von Verstand, die ihrer ermangeln.«
    Bücher haben viele Vorteile. Sie entführen ihn in eine andere Welt, ohne die geringste Gegenleistung zu verlangen. Montaigne kann ihnen untreu werden, sooft er will, sie nehmen es ihm niemals übel. Sie werden auch nicht sauer, wenn er sich nicht besonders eingehend mit ihnen befasst. Tatsächlich ist Montaigne ein ziemlich chaotischer Leser: Er geht in seiner Bibliothek auf und ab – denn ganz ohne körperliche Bewegung kann er nicht denken – und blättert dann wild im nächstbesten Buch herum, das ihm ins Auge springt. Ob das Wissen der Schriftsteller, die er liebt, fundiert ist oder nicht, ist ihm egal. Was ihn am meisten interessiert, ist der Charakter des Autors, der zwischen den Zeilen hervorlugt; der sich eher darin zeigt, wie jemand schreibt, weniger darin, was er schreibt.
    Mal liest Montaigne mehrere Stunden pro Tag, mal schaut er seine Bände monatelang nicht einmal an. So oder so haben Bücher eine Art psychotherapeutische Wirkung auf ihn: Sie lenken ihn von den Qualen seines Nierenleidens ab; sie machen in unabhängig von stumpfen Leuten, die ihm nur die Zeit stehlen; sie schützen ihn vor Einsamkeit. Die Gewissheit, dass an die tausend Werke in seinem Turmzimmer auf ihn warten, beruhigt ihn ungeheuer. Weil er weiß, dass er im Notfall zu ihnen zurückkehren kann, kann er gelassen an den oberflächlichsten Zerstreuungen teilnehmen. »Ich fände es notfalls erträglicher«, schreibt der bei anderen Gelegenheiten so gesellige Schlossherr, »immer allein zu sein, als es nie sein zu können.«
    Montaigne ist ein für seine Zeit weit gereister Mann. 1581 unternimmt er einen siebzehnmonatigen Trip durch die Schweiz, Deutschland, Österreich und Italien, der ihm viele neue schriftstellerische Impulse beschert. Seine intensivsten Touren aber sind die ausgedehnten Gedankenreisen, die er in Gesellschaft seiner Bücher veranstaltet. Montaigne nimmt sich Zeit, seinen Hirnmuskel zu trainieren. Auch wenn er dadurch die körperliche Fitness vernachlässigt. Auch wenn er deshalb seine politischen Kollegen in Bordeaux, die Diplomaten, Könige, Kriegsherren und adlige Damen der Umgebung auf später vertrösten muss. Anders als wir ist Montaigne ein Meister der Muße. Er inspiriert uns, nicht immer nur außer uns zu sein – aus Angst, etwas zu versäumen –, sondern auch dann und wann »zu Hause« zu bleiben, bei unseren eigenen Gedanken, Fantasien und Träumen.
    HUMOR: »(D)as Besondere unsres Menschseins besteht darin, dass wir zugleich des Lachens fähige und lächerliche Wesen sind«, schreibt Montaigne.
    Der Philosoph nutzt jede Gelegenheit, um sich über sich selbst zu amüsieren. Seine abrupten Stimmungswechsel und Meinungsänderungen und die ständigen Widersprüche, in denen er sich verhakt, findet er zum Schreien komisch. Montaigne betrachtet die Welt als Bühne – und uns als Schauspieler, die verschiedene Rollen proben. Und die beim Rollenspiel leider oft vergessen, dass alles nur Theater ist (vgl. Kap. 6 ). Montaigne hat recht: Anstatt »zu erkennen, was in uns ist«, identifizieren wir uns nur zu gern mit dem, was wir nicht sind: etwas Höherem, Besseren, Perfekteren. Wir neigen zur Aufgeblasenheit. Wir meinen, wir könnten es schaffen, wir hätten Anspruch auf das Maximum. Wenigstens diesem Leiden kann Montaigne nicht erliegen. Er verfügt schließlich über einen ausgezeichneten Impfstoff. Die Selbstironie: »Ich habe auf der ganzen Welt bisher kein ausgeprägteres Monster und Mirakel gesehn als mich selbst.«
    Auch wir könnten viel schöner leben, wenn wir uns selbst nicht so ernst nehmen würden.

Weitere Kostenlose Bücher