Schönbuchrauschen
kann ich mich nicht erinnern. Ich habe sie ja nur vorbeigehen sehen.«
»Danke. Das ist schon etwas.«
In diesem Moment traf die Spurensicherung ein. Kupfer verabschiedete sich von dem älteren Ehepaar und zeigte seinen Kollegen den Weg ums Haus herum zu Lipps separatem Eingang.
»Tolle Lage. Seiler, willst du hier nicht einziehen, wo jetzt die Wohnung frei ist?«, fragte Aberle.
»Wenn du sie bezahlst. Oder nimm du sie.«
Dann untersuchten sie die ganze Front der Wohnung, ohne die geringste Spur von Gewaltanwendung zu finden.
»Wenn da jemand drin war, muss er mit einem Schlüssel hineingekommen sein«, stellte Kupfer fest. »Also, Seiler, ran an das Schloss.«
Seiler griff nach seinem Werkzeug, ging in die Hocke und entriegelte die Tür mit zwei, drei Handgriffen.
»Oder so«, sagte er.
»Eher unwahrscheinlich. Das hätte dann schon ein Profi sein müssen. Und das war Krumm sicher nicht.«
»Was sagen denn die Hausleute?«, wollte Aberle wissen.
»Nicht viel. Dass Lipp ein netter Mensch war, mit dem sie aber keinen Kontakt hatten. Viel mehr als seinen Namen kannten sie nicht. Wenn man das Haus so anschaut, würde man nicht denken, dass hier einer wohnen kann, ohne dass die anderen Hausbewohner über ihn richtig Bescheid wissen.«
»Hast du eine Ahnung«, widersprach ihm Seiler. »In so einem Haus kann einer den Schirm zumachen, und sie merken es erst Wochen später, so wie bei uns in der Nachbarschaft. Da hat sich einer was angetan, und zwar im Winter. Der lag drei Wochen in seinem Bett, die Heizung volle Pulle aufgedreht. Ratet mal, wie man das bemerkt hat. Erst hat man gedacht, es liegt irgendwo eine tote Maus, dann …«
»Jetzt hör aber auf«, unterbrach ihn Kupfer. »Hol lieber dein großes Knipsgerät aus dem Auto. Da, alles Teppichboden.«
Mit dem großen Knipsgerät meinte Kupfer die Ausrüstung für die Interferenzholographie, mit der Trittspuren auf Teppichen auch nach langer Zeit noch sichtbar gemacht werden können. Und vor allem zeigen die damit erstellten Hologramme deutlich, welche Trittspuren älter und welche jünger sind.
»Das dauert dann aber eine Weile, ehe wir uns da drin frei bewegen können«, sagte Aberle etwas ungeduldig.
»Aber es lohnt sich bestimmt. Ihr braucht mich ja hier nicht mehr. Interferenzholographie und dann Routine, klar?«
»Alles klar!«
»Dann gehe ich mal zur nächsten Baustelle.«
12
Der junge Staatsanwalt, Dr. Klöppner, erging sich in einer ebenso langen wie umständlichen Beschreibung eines Problems, das Kupfer mit bestem Willen nicht als das seine erkennen konnte. Er kritzelte auf seinem Notizblock herum, ohne sich voll bewusst zu sein, was er da zeichnete. Endlich konnte er auflegen.
»Der Klöppner quatscht mir jedes Mal ein Ohr ab«, stöhnte er.
»Ich bewundere Ihre Geduld«, sagte Paula Kussmaul.
»Was heißt Geduld? Mit dem darf man es nicht verscheißen. Man weiß ja nie, wann man ihn braucht. Er ist doch für beide Fälle zuständig.«
Auf dem Weg zur Tür erblickte Paula Kussmaul die Kritzelei auf Kupfers Notizblock.
»Van Gogh«, spottete Paula Kussmaul.
»Van Gogh? Wieso?«, wollte er wissen.
»Der hat auch so alte Stiefel gemalt. Mein Sohn hat das Bild mal kopieren müssen, im Kunstunterricht. Hat er sich damals selbst ausgesucht, weil er gemeint hat, es sei leicht. Aber dann kam er ganz schön ins Fluchen, sag ich Ihnen.«
»Aber das ist kein Stiefel von van Gogh, sondern ein Krummstiefel, sozusagen ein Porträt von Theo Krumm.«
»Aber Herr Kupfer, über die Toten soll man nichts Schlechtes sagen.«
»Wenn Sie wüssten! Das war ein krummstiefliger Gauner.«
»Sie sind pietätlos«, tadelte sie ihn und lachte dabei.
»Richtig, und deshalb bin ich auch Kriminaler und nicht Pfarrer oder Diakon oder so was.«
»Und wieso ist der Verblichene ein krummstiefliger Gauner?«
»Liebe Frau Kussmaul. Haben Sie schon einen Großneffen? Oder einen Enkel?«
»Noch nicht. Aber vielleicht bald«, sagte sie hoffnungsvoll.
»Dann hüten Sie sich vor ihm.«
»Oh!?«
»Ganz knapp zusammengefasst, hat Theo Krumm sich widerrechtlich ein Vermögen angeeignet und seine dreiundneunzigjährige Großtante, die liebe Tante Gerlinde, hat es für ihn ausgegeben und hat keinen blassen Dunst davon. Jedes Mal, wenn er viel Geld brauchte, hat er es auf ihr Konto überwiesen, und weil er so lieb war und für die alte Frau alles getan hat – außer der täglichen Pflege natürlich, sie ist im Pflegeheim –, hatte er eine Vollmacht und konnte über
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