Schönbuchrauschen
Großvater hatte klug investiert, sehr klug. Die alte Generation, das sag ich Ihnen, die alte Generation, ööh, die konnte noch mit Geld umgehen. Da gibt es ein Riesenvermögen in Wertpapieren, da gibt es die Praxis in bester Stuttgarter Lage und dann noch zwei Häuser im Lehenviertel im Stuttgarter Süden, was sag ich, drei Häuser. Ich nehme an, Sie wissen, wo das ist. Große Stadthäuser von unten bis oben vermietet. Was denken Sie, was das abwirft!«
Kupfer nickte nur und notierte ein paar Stichwörter auf seinem Block.
»Wenn Sie mich fragen, wie ich die Finanzen des jungen Herrn einschätze: Der hat sich mehr Taschengeld genehmigt, als er in der Klinik verdient hat. Der junge Herr Lipp lebte wie der Vogel im Hanfsamen. Der hatte mehr Taschengeld, als Sie verdienen.«
»Dafür lebe ich aber noch«, sagte Kupfer trocken.
»Ja, Sie leben noch, gut, sehr gute Bemerkung, Sie leben noch, richtig, so muss man das sehen«, stimmte ihm der Notar übereifrig zu und lachte schallend wie über einen guten Witz.
Kupfer blieb ernst und fragte dann, langsam formulierend, als würde er nach Worten suchen: »Könnte man das vielleicht so ausdrücken, dass Sie als der traditionelle, althergebrachte Vermögensverwalter der Familie durch die willkürlichen Machenschaften des jungen Herrn den Überblick über das Vermögen verloren haben?«
Dr. Klarwasser starrte ihn einen Moment verdutzt an.
»Durch die willkürlichen Machenschaften des jungen Herrn den Überblick, ööh, verloren«, wiederholte er Kupfers Formulierung, als wollte er sie auswendig lernen. »Ja, ööh, durchaus, ohne eigenes Verschulden natürlich, ohne eigenes Verschulden. Nur durch seine willkürlichen Machenschaften, ganz genau durch diese.«
»Eine Frage hätte ich noch.«
»Bitte, Herr Gold, bitte.«
»Kupfer, nur Kupfer.«
»Entschuldigung, Herr Kupfer, nur Kupfer natürlich, ööh. Ihre Frage?«
»Lebt die Mutter noch?«
»Ja, aber die spielt bei einer möglichen Erbauseinandersetzung keine Rolle. Die Eltern ließen sich schon in den Neunzigerjahren scheiden, ööh, die Frau wurde damals abgefunden, wir waren an den Verhandlungen beteiligt, ööh. Sie hat wieder geheiratet, und soviel wir wissen, ist sie, ööh, nicht mehr ganz zurechnungsfähig und residiert in einem Pflegeheim im Ausland. Für sie ist gesorgt. Sie kann und wird keine Ansprüche mehr anmelden.«
»Gut, besten Dank. Das hilft mir zunächst weiter. Es könnte allerdings sein, dass ich Einblick in alle Kontenbewegungen brauche. Dann würde ich noch einmal auf Sie zukommen müssen.«
»Ööh, das müssten wir dann für Sie zusammenstellen, ööh, zusammenstellen lassen, ööh, natürlich gerne.«
Als Kupfer sich aus seinem Sessel erhob, beugte sich der Notar etwas vor und streckte ihm seine Hand zu einem feucht-weichen Händedruck über den Schreibtisch. Dabei bemerkte Kupfer die kleinen Schweißtropfen auf Dr. Klarwassers Stirn und roch den leichten Alkoholdunst, der den Notar umgab.
»Ich nehme an, Sie finden hinaus.«
»Ja, selbstverständlich. Besten Dank.«
Es war inzwischen Mittag. Kupfer setzte sich in sein Auto und fuhr zum Essen nach Hause. Marie hatte Sauerkraut mit Blut- und Leberwurst gekocht, was sie an kalten Tagen gerne aßen.
»Metzelsupp«, sagte er erfreut und sah noch einmal Dr. Klarwasser in Metzgerkluft vor sich. »Eigentlich könnt er auch Kirsch- oder Zwetschgenwasser heißen«, sagte er leise vor sich hin und grinste spöttisch.
16
Andrea Lorenz schimpfte: »Hat sich dieser Idiot wieder so dicht vor mich hingestellt!«
Sie legte den Rückwärtsgang ein und manövrierte ihren alten Passat mühsam aus der Parklücke am Bordstein. Es war immer derselbe Nachbar, der ihr Schwierigkeiten machte. Dabei hatte sie ihn schon oft gebeten, doch bitte ein wenig Rücksicht zu nehmen, wenn er spät nach Hause kam und seinen Wagen einparkte. Aber nein. Er wurde sogar frech und sagte grinsend, dass Frauen einfach keine so großen Autos fahren sollten wie sie. Immer wieder stellte er sein Astra-Cabrio so dicht vor sie hin, dass sie nur mit Mühe aus der Parklücke kam, vielleicht sogar absichtlich. Aber sie hatte keine Lust mehr, sich mit diesem Proleten anzulegen, und kurbelte inzwischen ihr Fahrzeug recht gekonnt aus der Parklücke heraus. Und das, obwohl sie es morgens immer eilig hatte. Mia schon vor dem Dienst durch den Berufsverkehr zu ihrer Tagesmutter zu bringen und dann so früh das Krankenhaus zu erreichen, dass noch ein paar Minuten Zeit war, um in Ruhe
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