Schönbuchrauschen
eine Tasse Kaffee zu trinken und wenigstens zwei private Sätze mit ihren Kolleginnen zu wechseln, war nicht immer leicht. Sie schaffte es genauso oft wie nicht.
Als sie das erste Mal nach rechts einschlug, spürte sie einen leichten Widerstand und hatte den Eindruck, dass etwas am rechten Vorderrad kratzte. Sie hatte das Gefühl, das Lenkrad ganz fest halten zu müssen, damit es sich nicht zurückdrehte. Beim Linkseinschlagen merkte sie nichts, und als sie wieder nach rechts lenken musste, etwas weniger als beim ersten Mal, spürte sie keinen Widerstand und vergaß diesen flüchtigen Eindruck.
Die zweieinhalbjährige Mia, die schräg hinter ihr im Kindersitz festgeschnallt war, fing an zu quengeln: »Mama abeiten, son wieda imma.«
»Aber Miaschatz, du bist doch bei Tante Irmgard und bei Timo, Leo, Lena, Finn und Lasse. Die freuen sich alle auf dich. Willst du nicht schön mit ihnen spielen?«
»Mama arbeiten.«
»Ach Miamein, ich hol dich doch heute Nachmittag schon wieder ab, und dann gehen wir einkaufen und dann kochen wir uns etwas Leckeres.«
»Toffelbrei.«
»Ja, ganz feinen Kartoffelbrei mit Hühnchen und Möhrchen. Das magst du doch.«
»Toffelbrei, Hühnschen, Möhschen. Mia Toffelbrei.« Mia schien besänftigt zu sein.
Andrea bog von der Freiburger Allee links in die Tübinger Straße ein und fuhr stadteinwärts. Wenn alles gut lief, blieben ihr vielleicht ein paar Minuten, um ein paar Sätze mit Mias Tagesmutter zu reden. Mia hatte nicht durchgeschlafen und sie dreimal geweckt. Das war kein gutes Zeichen. Vielleicht brütete sie etwas aus.
Bei Irmgard Götz war Mia tagsüber in guten Händen. Davon war Andrea überzeugt. Trotzdem versetzte es ihr immer einen kleinen Stich ins Herz, wenn es Mia nicht ganz gut ging und sie sich morgens nicht von ihrer Mutter trennen wollte. Das brachte sie ab und zu in Zeitdruck. Aber wenn sie nach acht Stunden im klinischen Labor Mia abholte und sie ihr strahlend in die Arme lief, dann war nicht nur die morgendliche Hektik vergessen, sondern auch die Hetzerei, die ihren Arbeitstag bestimmte. Und unangenehm war nicht nur der Zeitdruck. Es störte sie auch das Gefühl, dass sie als technische Assistentin zum klinischen Hilfspersonal gehörte, dem die Halbgötter in Weiß nicht immer die Achtung entgegenbrachten, die ihm eigentlich zustand. Das fand sie arrogant und ungerecht. Denn wer den Herren und Damen in aller Eile die Grundlagen für ihre Diagnosen lieferte, das war schließlich das Personal des Labors, dem man den Dank meist schuldig blieb.
Darüber konnte sie sich immer wieder aufregen. Und an diesem Ärger war auch ihre Beziehung zu Mias Vater gescheitert. Nach langem Hin und Her hatte sie einsehen müssen, dass der Herr Doktor seine Überheblichkeit nie ablegen würde. Sie gab ihm den Laufpass, obwohl sie damals schon schwanger war. Inzwischen war er völlig aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden, was für sie in Ordnung war, solange die Unterhaltszahlungen für Mia regelmäßig auf ihrem Konto eingingen. Und da ließ sich der Herr Doktor zum Glück nicht lumpen.
Als sie nach ihrem Dienst die Waldburgstraße hinunterfuhr, ließ sie all das hinter sich zurück. Sie freute sich darauf, in ein paar Minuten ihre Mia wieder an sich drücken zu können.
Mia sei am Vormittag etwas müde gewesen, habe sich aber beim Mittagsschlaf gut erholt, sagte ihr Irmgard Götz. Mia war schon in ihre Schuhe geschlüpft, Andrea musste nur noch die Schleifen binden. Dabei sagte die Kleine zu ihr: »Toffelbrei, Möhschen.«
»Ach, du weißt das noch! Ja, wir kochen nachher. Aber nicht jetzt gleich. Du kriegst jetzt erst einen Keks. Den magst du doch. Wir gehen jetzt einkaufen.«
Mia strahlte. Einkaufen mochte sie. Viele Sachen sehen. Leute angucken. Zurückstrahlen, wenn die vielen Omas in den Geschäften sie anlächelten oder ihr zuwinkten.
Andrea fuhr nach Sindelfingen hinüber, zu IKEA, weil sie für Mias Zimmer eine neue Lampe brauchte. Der Einkauf war schnell erledigt. Andrea wollte nun auf dem nächsten Weg nach Hause fahren und kochen.
Aber als sie die Serpentine zum Parkdeck hinaufgefahren war, hatte sie wieder diesen Widerstand gespürt und musste das Steuer sehr fest halten, damit ihr Auto auf der gewundenen Bahn blieb. Von Technik verstand sie nichts. Trotzdem war ihr klar, dass sie das nicht schleifen lassen konnte. Offenbar war das Problem am Morgen doch keine Täuschung gewesen. An der ersten Ampel an der Böblinger Straße holte sie einen Schokoladenkeks aus
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