Schöne Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
diesem Haus.“
Lisa atmete tief ein.
„Ich frage mich, ob man den Geisteszustand eines Küns t lers immer in seiner Kunst erkennen kann.“
„Nun ja“ grinste Stolz nun wieder in seiner gewohnten Rolle, „da haben Sie bei uns die freie Auswahl. Wir haben e i nen Spanier, der Aquarelle mit seinem eigenen Urin und and e ren Körpersäften macht. Eine ältere Kollegin hat sich darauf spezialisiert, tote Tiere zu präparieren und mit bunten Mu s tern zu bemalen. Da ist Agatha Kohler, bei der ich immer noch nicht ganz sicher bin, ob diese Selbstausstellung wirklich Kunst ist. Und mein besonderer Liebling ist Tim Stewart. Der malt immer nackt, und ich habe den Verdacht, dass er sogar malt, während er Sex hat.“
„Wow“, machte Lisa, die darum kämpfen musste, der Re a lität nicht zu entgleiten. „Schade, dass ich ihn nicht befrage. Apropos...“
Sie riss sich zusammen und stellte Stolz die üblichen Fr a gen. Er hatte kein Alibi, wie er zähneknirschend zugeben musste, er war vergangene Nacht allein in seiner Wohnung. Anders als Lisa gedacht hatte, wohnte er durchaus nicht in seinem Atelier.
„Das ist nicht legal, Frau Becker, kein Künstler wohnt hier, es sind reine Atelierräume. Natürlich hat so mancher eine Couch oder eine Matratze da, und manchmal übernachtet man dann halt hier, aber damit hat es sich.“
Lisa glaubte ihm nicht. Wenn man ein prekärer Künstler war, zahlte man nicht doppelt Miete. Sicher lebten einige der Mieter in Wahrheit komplett hier. Sie würden es im Laufe der heutigen Befragungen wohl genauer wissen, aber eigentlich interessierte es sie nicht besonders.
Stolz hatte keine Ahnung, wieso jemand Ralph Schubert hätte töten wollen. Er war kooperativ, aber als Lisa ihn um e i ne Speichelprobe bat, wurde er bockig.
„Dazu müssen Sie mich schon zwingen“, erklärte er hera b lassend, „und ich weiß zufällig, dass Sie das nicht können. Ich werde kein Bestandteil ihres Datenfundus werden.“
„Sie sollen uns bei den Ermittlungen helfen. Es gibt nur einen Abgleich, danach werden Ihre Daten wieder gelöscht.“
„Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich nicht blind sämtlichen Versprechungen des Staatsapparats glaube. Sie kriegen keine DNA-Probe von mir. Ich weiß ja, dass ich unschuldig bin, also behindere ich auch nicht Ihre Ermittlungen. Tut mir leid, das ist mein letztes Wort. “
Lisa verließ den alten Sturkopp. Sie konnte durch den Türspalt des gegenüberliegenden Ateliers sehen, wie sich Alfie Hoffmann und Sabine Lott mit jemandem unterhielten, aber sie wollte erst mal ihre eigenen Gedanken sortieren. Es gab einiges zu verarbeiten, und die Konfrontation mit einem der verstörendsten Gemälde der Kunstgeschichte war dabei nicht hilfreich.
Eines war auf jeden Fall klar, nachdem sich das zweite Mordopfer als regelmäßiger Gast im Fandango entpuppt hatte: Die Spur war heiß.
Alle ständigen Mieter sind hier. Wer immer der Mörder ist, er befindet sich wahrscheinlich in einem Radius von 100 M e tern um meinen Arsch!
Vierzehn
Alfie Hoffmann und Sabine Lott standen inzwischen e i nem anderen Problem gegenüber. Beide waren noch jung und knusprig, und konnten sich noch gut an ihre Ausbildung in der Fachhochschule erinnern. Sie kannten die Vorschriften g e nau und waren für jede Art von Einsatz trainiert: Verfolgung s jagd, Geiselnahme, Verhör, Zeugenaussage vor Gericht, Kaffee kochen, alles. Nicht erinnern konnten sie sich jedoch an die genauen Instruktionen für den Fall, dass die Person, die man befragt, keine Kleidung trägt.
Und auch keinerlei Anstalten macht, sich anzuziehen.
„Könnten Sie nicht mal wenigstens einen Bademantel oder so was anziehen?“ bettelte der verzweifelte Alfie geradezu.
Tim Stewart, ein schlanker, drahtiger Jüngling mit kurzg e schorenem blonden Haar und deutlich mehr Piercings als no t wendig an seinem Körper, lachte gutmütig.
„Certainly, haben Sie einen fur mich?“
Sein Akzent war nicht sehr stark, aber wie jed er britische Akzent gewöhnungsb e d ürftig. Die meisten Engländer klangen, sogar wenn ihr Deutsch ziemlich gut war, wie geistig behi n derte Holländer. Ihr ständiger Kampf mit dem sonderbar ve r schwurbelten deutschen Satzbau ließ sie klingen, als sehnten sie sich jedes Mal das Ende des Satzes herbei, und die Bet o nung blieb stets auf der Ebene reiner Mutmaßung.
„Haben Sie denn gar nichts anzuziehen hier?“ fragte Sab i ne, die den Blick auf einen Punkt irgendwo hinter Tims rec h tem Ohr fokussiert
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