Schöne Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
weiß ich wenigstens, dass ich nicht gut genug für Becker bin.
Er bog ab.
Ich sollte wahrscheinlich aufhören, sie Becker zu nennen.
Fünfundzwanzig
„Hallo?“
„Guten Tag, Becker hier, vom Landeskriminalamt Berlin. Spreche ich mit Frau Petersen?“
„Geht es um Nicki?“
„Ähh... ja, Frau Petersen, es geht um ihre Tochter Nicki, oder Agatha Kohler, wie sie sich ja jetzt nennt, sie...“
„Was hat sie gemacht?“
Agatha Kohlers Wohnung war in Friedrichshain, und zwar, zu Fabians milder Überraschung, in der Karl-Marx-Allee. Erst kürzlich hatte er mit Mustafa über das Frankfurter Tor gespr o chen und wie es gar nicht das Frankfurter Tor war, nur der Abschluss eben jenes sowjetischen Architekturirrsinns der ehemaligen Stalin-Allee.
Es war merkwürdig: Als Stalin in der sowjetischen Phil o sophie nicht mehr so en vogue war (an irgendeinem Punkt ve r liert auch der leutseligste Massenmörder seinen Charme), ha t te die DDR kein Problem damit gehabt, die riesige Straße u m zubenennen. Nach der Wende hätten es viele Politiker sicher sehr gern gesehen, wenn auch Karlchen Marx nicht mehr den Stadtplan der Hauptstadt verunzieren und die Straße wieder den allerersten Namen, Große Frankfurter Straße, erhalten würde, aber Pustekuchen. Da war ja nicht nur die riesige Allee, sondern auch noch die endlose Straße, die durch Neukölln führte. Für Zigtausende Menschen und Firmen die Adresse ä n dern, das war zu viel Aufwand. Man benannte einen Teil der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße um, das ging gerade noch. Die dortigen Bewohner hatten dagegen gestimmt, aber der Rest der Kreuzberger dafür, also Pech gehabt. Hey, direkte Demokratie, supertoll...
Die Karl-Marx-Allee blieb wo sie war, wo hätte man sie auch hintun sollen. Sozialistischer Klassizismus war grun d sätzlich ja recht hübsch, auch wenn Fabian den Terminus „Z u ckerbäckerstil“ nie so ganz verstanden hatte. An der pomp ö sen, nicht enden wollenden Galerie an Hausfassade, deren B e wohner im wesentlichen dazu bestimmt waren, den Paraden zuzujubeln, die unten stattfanden, war nichts zuckerbäcke r haftes – „Finanzbuchhalterstil“ wäre passender gewesen. Aber heutzutage waren die Wohnungen hier sehr begehrt, alles war schön saniert und die Lage günstig, man konnte in wenigen Minuten in Mitte sein. Dennoch merkwürdig, dass sich die I n dividualistin Agatha in diesen Vorläufern der Plat tenbau-Schließfächer wohl fühlte.
Fabian fühlte eine gewisse Anspannung, die er sich nicht erklären konnte. Es war üblich, Zeugen zu Hause aufzusuchen, und Agatha Kohler hatte ja anscheinend etwas zu sagen. Reine Routine.
Wieso sollte ich niemandem Bescheid sagen?
„Frau Petersen , wieso glauben Sie, dass Ihre Tochter e t was verbrochen hat?“
„Ich...“
„Sehen Sie, die meisten Menschen reagieren nicht so, wenn die Polizei sie anruft wegen ihrer Kinder. Die meisten machen sich Sorgen, dass ihnen etwas passiert sein könnte.“
„Ist ihr etwas passiert?“
„Nein.“
„Also, was hat sie gemacht?“
„Fabian!“ begrüßte ihn Agatha überschwänglich, als sie die Tür öffnete. „Bin ich froh, dass du kommen konntest!“
Er erkannte sie fast gar nicht. Sie hatte sich umgezogen und trug Leggings, ein großes T-Shirt und Sandalen. Das sah nicht gerade nach der Kluft aus, in der verruchte Nymphom a ninnen ihre Toyboys an Land ziehen.
Verdammt ! dachte Fabian. Ich meine, oh gut!
Sie führte ihn in die Wohnung, die wohl über drei Zimmer verfügte. Auch sie entsprach nicht den Erwartungen des Hauptkommissars, die in etwa aus einer noch durchgeknallt e ren Version des Ateliers bestanden hatten. Aber dies war eine moderne, eher spärliche eingerichtete Affäre, die nach IKEA roch und beinahe als gemütlich durchging. Er sah sich um, während sie ihn auf die Couch im Wohnzimmer komplime n tierte und ihn fragte, ob er etwas trinken wollte.
„Nein, danke“, antwortete Fabian. Er war immer noch u n ruhig, fühlte sich aber Herr der Lage. „Sie wollten mir etwas sagen über die ersten beiden Morde?“
„S ind wir wieder beim Sie, Herr Zonk?“ Agatha setzte sich neben ihn und lehnte sich mit gespieltem Schmollen zurück. „Wenn Ihnen das so unangenehm ist...“
„Nein, durchaus nicht“, grinste Fabian, „Agatha.“
„Danke, Fabian, das bedeutet mir viel.“ Sie wandte sich ihm zu und legte eine Hand auf die Rückenlehne. Fabian nahm die entsprechende Haltung ein. Er musste sich eingestehen, dass
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