Schöne Lügen: Roman (German Edition)
erklärt, du seist seine Frau. Ich habe mir jeden Kommentar verkniffen. Wenn er diesen wilden Gesichtsausdruck bekommt – du weißt schon, was ich meine –, dann bin ich mit allem einverstanden, was er sagt.« Melanie fiel gar nicht auf, daß das Gesicht ihrer Schwägerin jetzt auch noch das letzte bißchen Farbe verloren hatte. »Er meinte, dein Magen müsse ganz leer sein. Kannst du etwas essen, ohne gleich wieder … äh … ohne dich gleich wieder zu übergeben?« fragte sie ängstlich.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Erin. Allein die Vorstellung von Tellern und Besteck war schon abstoßend, und jetzt schien ihr leerer Magen sich obendrein nervös zusammenzuziehen bei dem, was Melanie über Lance erzählte. Aber diese Schwäche ärgerte sie. »Ich werde ganz vorsichtig daran knabbern.«
Melanie setzte sich an das Fußende und unterhielt sich mit Erin, während die zwei der Cracker bewältigte. Dann nippte sie an dem lauwarmen Tee, um ihren Mund ein wenig anzufeuchten.
»Das rote Telefon läutet schon den ganzen Tag. Ich glaube, es tut sich etwas, aber bis jetzt hat Mr. Barrett noch nichts verlauten lassen.«
»Vielleicht gibt es ja auch nichts von Belang«, versuchte Erin die jüngere Frau zu trösten, die so hilflos und verloren aussah. Erin entschuldigte sich noch einmal bei ihr, weil sie ihr nicht die nötige Unterstützung bieten konnte.
»Sorge du nur dafür, daß es dir wieder besser geht, damit du gesund bist, wenn Ken nach Hause kommt.« Melanie stand auf. »Möchtest du vielleicht ein Bad?«
Erin dachte, daß sie die Gelegenheit nutzen sollte, solange noch jemand da war, um ihr zu helfen. Zusammen schafften sie es bis ins Badezimmer. Erin wusch ihr Gesicht, putzte sich die Zähne und ging auf die Toilette. Der Weg zurück zum Bett zog sich hin wie eine Weltreise.
Erleichtert sank sie in die Kissen, die Augen fielen ihr zu. »Danke, Melanie, daß du mir das Eis gebracht hast. Es war genau das, was ich brauchte«, murmelte sie schläfrig.
»Das habe ich gar nicht gebracht, das war Mr. Barrett.«
Melanie schloß leise die Tür hinter sich, und Erin blieb
allein zurück in dem ruhigen, dämmrigen Zimmer, nur ihre Gedanken leisteten ihr Gesellschaft.
Es war erstaunlich, was für einen Unterschied zwölf Stunden in Erins Befinden ausmachten. Am nächsten Morgen fühlte sie sich schon weitaus besser. Ganz vorsichtig streckte sie die Beine aus dem Bett und stand auf. Sie schwankte und der Raum verschwamm vor ihren Blicken, doch dann legte sich das Schwindelgefühl, und sie stakste langsam über den Flur.
Sie wusch sich und zog ein frisches Nachthemd an. Ihr Haar klebte am Kopf, doch ein gründliches Bürsten brachte halbwegs seine ursprüngliche Fülle zurück. Ihre ausgetrockneten Lippen erfrischte sie mit einem leicht getönten Lip Gloss. Und zum Schluß besprühte sie sich noch ein wenig mit Zitronenduft. Jedes Parfüm hätte wahrscheinlich ihren Magen aufs neue revoltieren lassen, doch jetzt fühlte sie sich wenigstens wieder wie ein Mensch. Sicher ging es ihr schon viel besser, da sich ihre Eitelkeit wieder meldete.
Sie saß auf der Bettkante und cremte ihre Hände ein, als die Tür einen Spaltbreit aufging und Lances Kopf sichtbar wurde. Sie hielt mitten in der Bewegung inne und starrte ihn an. Das blaßpfirsichfarbene Nachthemd, das sie jetzt trug, war aus dünnem Batist, doch nicht sehr durchsichtig. Von der mit Spitzen besetzten Schulterpartie an war es züchtig zugeknöpft.
»Hi«, sagte er.
»Hi.«
»Werden Sie es überleben?« Er lächelte breit.
Sie erwiderte das Lächeln. »Ich glaube schon, obwohl ich mich eine Weile sterbenselend fühlte.«
»Sie waren ziemlich krank.«
Erin wandte den Blick ab, sie genierte sich für das, was sich alles vor seinen Augen abgespielt hatte. »Ich möchte Ihnen danken, weil Sie mir so tatkräftig geholfen haben. Es war sicher nicht besonders angenehm für Sie.« Warum hast du dem Arzt erzählt, ich sei deine Frau? hätte sie ihn am liebsten gefragt. Sie starrte immer noch auf ihre nackten Füße, doch als er nichts sagte, blickte sie auf.
»Sie brauchen mir nicht zu danken«, meinte er schließlich. »Ich wünschte, ich hätte Ihnen die Schmerzen ersparen können.« Sie sahen einander eindringlich an, alles andere um sie herum schien zu versinken, es gab nur noch sie beide, die sich völlig ineinander verloren in diesem Augenblick. Doch dann zwang Lance sich, seine Blicke von ihr loszureißen, von dem bezaubernden Bild, das sie bot.
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