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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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halten?« fragte ein Student naiv.
    »Schafskopf!« Der Direktor brach sein langes Schweigen. »Ist Ihnen denn noch nie aufgefallen, daß ein Epsilonembryo auch eine Epsilonumwelt, nicht nur eine Epsilonerbmasse haben muß?«
    Offenbar war es dem Jungen noch nie aufgefallen. Er schämte sich.
    »Je niedriger die Kaste«, sagte Päppler, »desto weniger Sauerstoff.« Das erste davon betroffene Organ war das Gehirn.
    Dann kam das Knochengerüst dran. Verringerte man die
    normale Sauerstoffzufuhr um dreißig Prozent, erhielt man Zwerge, verringerte man sie weiter, augenlose Ungeheuer. »Die völlig nutzlos sind«, schloß Päppler.
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    Dagegen - seine Stimme wurde vertraulich und eifrig wenn es gelänge, ein Verfahren zur Verkürzung der Wachstumsperiode zu entwickeln, welch ein Triumph, welch ein Segen für die Gesellschaft!
    »Denken Sie an das Pferd!«
    Sie dachten daran.
    Ausgewachsen mit sechs Jahren, der Elefant mit zehn.
    Der Mensch jedoch mit dreizehn noch nicht einmal
    geschlechtsreif, erst mit zwanzig wirklich ausgewachsen.
    Daher natürlich, als Frucht solch langsamer Entwicklung, die menschliche Intelligenz.
    »Aber Epsilons«, bemerkte Päppler sehr zu Recht, »brauchen keine Intelligenz.«
    Brauchten keine und bekamen auch keine. Der Verstand eines Epsilons war wohl mit zehn Jahren reif, der Körper aber erst mit achtzehn arbeitsfähig. Lange, überflüssige, vergeudete Jahre des Heranwachsens. Wenn man die körperliche Entwicklung
    beschleunigen könnte, bis sie der Wachstumsgeschwindigkeit einer Kuh entsprach, wie kolossal die Ersparnis für die Allgemeinheit!
    »Kolossal!« murmelten die Studenten, Päpplers Begeisterung war ansteckend.
    Er wurde wieder sachlich, sprach von der abnormen
    endokrinen Koordination, infolge deren die Menschen so
    langsam wuchsen, und schrieb dies einem Mutieren der
    Keimzellen zu. Konnte man den Folgen dieser germinalen
    Mutation entgegenwirken? Konnte man den Epsilonembryo
    durch ein geeignetes Verfahren so zurückentwickeln, daß seine Wachstumsgeschwindigkeit der eines Hundes oder einer Kuh entsprach? Das war die Frage. Nur die Lösung fehlte noch.
    Pilkington in Mombasa hatte Menschen erzeugt, die mit vier Jahren geschlechtsreif und mit sechseinhalb voll erwachsen
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    waren. Ein Triumph der Wissenschaft. Aber für die Gesellschaft wertlos. Sechs Jahre alte Erwachsene waren sogar für die Obliegenheiten eines Epsilons zu dumm. Bei diesem Verfahren erhielt man immer alles oder nichts. Entweder änderte sich gar nichts, oder es änderte sich alles. So versuchte man noch immer, den idealen Kompromiß zwischen zwanzig- und sechsjährigen Erwachsenen zu erzielen. Bishe r ohne Erfolg. Seufzend
    schüttelte Päppler den Kopf. Der Rundgang durch die purpurne Dämmerung führte sie in die Nähe von Meter 170 des Regals 9.
    Von hier an war Regal 9 verschalt, die Flaschen legten den Rest der Reise in einer Art Tunnel zurück, der hier und da von zwei bis drei Meter breiten Öffnungen unterbrochen war.
    »Wärmegewöhnung«, erklärte Päppler.
    Hitzetunnel wechselten mit Kältetunneln ab. Kälte war
    gekoppelt mit Unbehagen, das durch starke Röntgenstrahlen verursacht wurde. Wenn die Embryos entkorkt wurden, war ihnen das Grauen vor Kälte bereits eingefleischt. Sie waren prädestiniert, in die Tropen auszuwandern, Bergarbeiter, Azetatseidenspinner oder Stahlarbeiter zu werden. Später wurde ihr Verstand dazu gezwungen, dem Instinkt ihres Körpers zu folgen. »Wir normen sie darauf, daß es ihnen bei Hitze gutgeht«, schloß Päppler. »Die Kollegen im Stockwerk über uns bringen ihnen die Liebe zu ihr bei.«
    »Und darin«, warf der Direktor salbungsvoll ein, »liegt das Geheimnis von Glück und Tugend: Tue gern, was du tun mußt!
    Unser ganzes Normungsverfahren verfolgt dieses Ziel: die Menschen lehren, ihre unumstößliche soziale Bestimmung zu lieben.«An einer Lücke zwischen zwei Tunneln stand eine
    Pflegerin und stach behutsam mit einer langen dünnen Spritze in den gallertigen Inhalt einer vorbeiziehenden Flasche.
    Die Studenten und ihre beiden Führer blieben ein paar
    Augenblicke stumm beobachtend stehen.
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    »Nun, Lenina«, sagte Päppler, als sie endlich die Spritze herauszog und sich aufrichtete.
    Das Mädchen fuhr herum. Trotz Lupus und purpurnen Augen
    war sie auffallend hübsch.
    »Henry!« Ein Lächeln blinkte rot auf, eine Reihe
    Korallenzähne.
    »Entzückend, ganz entzückend«, murmelte der Direktor, gab ihr zwei, drei kleine Klapse und erhielt

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