Schoene, raetselhafte Becca
um im Sekretariat anzurufen. Nachdem sie Gabi entschuldigt hatte, schaute sie zu Trace. „Offenbar ein Virus. Sie haben schon fünf Schüler krank nach Hause geschickt.“
„Ich verschwinde lieber. Du musst dich jetzt um deine Tochter kümmern“, meinte Trace. „Danke für die Kekse und den Kakao und … alles.“
„Danke, dass du mir beim Schneeschaufeln geholfen hast.“
„Gern geschehen. Ich fürchte nur, in ein paar Stunden kannst du wieder von vorn anfangen.“
Sie betrachtete die dicken Schneeflocken, die am Fenster vorbeiwirbelten. „Wäre ich in Phoenix, müsste ich mir darüber keine Sorgen machen“, seufzte sie. Ebenso wenig wie über die Stromrechnung oder darüber, ob sie genügend zu essen kaufen konnte oder über ein neunjähriges Mädchen, dessen Mutter mit den gesamten Ersparnissen über alle Berge verschwunden war.
Oder über attraktive Polizisten, die ein Auge auf sie geworfen hatten und in dessen Arme sie am liebsten sofort geflüchtet wäre.
„Ich bin froh, dass du nicht in Phoenix bist“, erwiderte er lächelnd, und trotz all ihrer Sorgen war sie es in diesem Moment auch.
Nachdem Trace gegangen war, legte Becca ein paar Salzcracker auf einen Teller, füllte ein Glas mit Orangen-Ananas-Saft, Gabis Lieblingsgetränk, und stieg die Treppen hinauf.
Obwohl es zwei weitere Zimmer im ersten Stock gab, hatte Gabi sich für die winzige Kammer mit den schrägen Decken und den Dachgauben entschieden.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie „Herein“ sagte, nachdem Becca an die Tür geklopft hatte.
Von ihrem ersten Lohn, den sie im Gulch verdient hatte, waren sie und Gabi nach Idaho Falls gefahren, wo die Auswahl größer war, hatten einen Topf mit lindgrüner Farbe und eine Kuscheldecke gekauft und den kleinen Raum wohnlich zu gestalten versucht. Mehr hatte Gabi allerdings nicht getan, um sich eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen.
Becca konnte sie nur zu gut verstehen. Gewohnt an das unstete Leben mit Monica, erwartete sie wohl nicht, besonders lange hier zu wohnen. Warum sich also bemühen, aus diesem Zimmer ein Heim zu machen? Es versetzte Becca einen Stich ins Herz, als sie daran dachte, wie oft Gabi in ihrem jungen Leben schon umgezogen war. „Wie fühlst du dich?“, erkundigte sie sich, während sie das Tablett auf den schmalen Tisch neben dem Bett stellte.
„Geht so.“
Als sie die Hand auf Gabis Stirn legte, zuckte das Mädchen zurück. Sie wollte sich weder in diesem Haus heimisch fühlen noch Becca zu nahe an sich heran lassen – in jeder Beziehung.
„Fieber hast du wohl nicht. Ich bin zwar keine Expertin, aber du fühlst dich nicht heiß an. Ist dir auch übel?“
„Nein. Es geht wieder besser. Wahrscheinlich habe ich nur etwas Falsches gegessen.“
Ihr Blick fiel auf die Schublade des Nachttischs. Versteckte Gabi hier Lebensmittel, die sie in sich hineinstopfte, bis ihr schlecht wurde? Wahrscheinlich hatte sie sich das auch bei Monica angewöhnt – Essen für jene Tage zu horten, an denen Monica keine Zeit hatte, für ihr Kind zu kochen.
Becca nahm sich vor, in den nächsten Tagen Gabis Zimmer zu durchsuchen, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab.
„Kann ich dir sonst noch was bringen?“, erkundigte Becca sich.
„Nein. Ich lese noch das Buch durch, das ich für mein Referat nächste Woche benötige, und dann versuche ich zu schlafen.“
Obwohl sie Hausaufgaben hasste, gab es Momente, in denen Gabi sich sehr vernünftig verhielt.
Trotzdem wurde Becca das Gefühl nicht los, dass das Mädchen in Schwierigkeiten steckte. Gabi wirkte seltsam unruhig. Trotzdem vermied sie es, sie weiter mit Fragen zu löchern. „Was möchtest du denn zum Mittagessen haben?“
Gabi zog sich die Decke bis zum Kinn. „Irgendwas. Ich bin überhaupt nicht hungrig.“
„Gut. Dann ruh dich jetzt aus.“ Sie strich ihrer Schwester eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fragte sich, wie es gekommen war, dass sie das kleine Wesen, von dessen Existenz sie bis vor wenigen Wochen noch gar nichts wusste, innerhalb kürzester Zeit ins Herz geschlossen hatte. Gabi war für sie der wichtigste Mensch geworden.
Bevor sie ging, stopfte sie die Decke unter den schmalen Körper. An der Tür hielt Gabis Stimme sie zurück.
„Es tut mir leid, dass ich einfach so weggelaufen bin. Ich … wollte einfach nicht mehr in der Schule sein. Nachher hätte ich noch vor den Kindern gekotzt. Das wäre mir sehr peinlich gewesen. Kriegen wir jetzt Ärger?“
„Ich habe mit der Sekretärin geredet
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