Schoene, raetselhafte Becca
wo Destry und Caidy über einer Mathematikaufgabe saßen. Grunt schlief zu ihren Füßen.
„Wie klappt’s denn mit den Hausaufgaben?“
Sie kritzelte eine weitere Gleichung aufs Papier, legte den Bleistift beiseite und klappte das Buch mit einem Seufzer der Erleichterung zu. „Fertig. Endlich!“
„Gut. Ich glaube, mein Lieblingsmädchen fühlt sich ziemlich einsam. Möchtest du nicht mit mir kommen und Genie einen Apfel bringen?“
Er wusste, dass Destry alle Pferde auf der Ranch heiß und innig liebte.
„Klar!“, rief sie aus. Jetzt sah sie zum ersten Mal richtig glücklich aus. „Ich ziehe mir schnell meinen Mantel an.“
Kurz darauf waren sie auf dem Weg zum Stall. Grunt trottete hinter ihnen her. Der Dezemberabend war still und klar, als ob die Welt den Atem anhielt und auf ein Wunder zu warten schien.
Auf dem Weg zum Stall erinnerte Trace sich an seine Jugend, als er sich jeden Tag vor Sonnenaufgang um die Pferde kümmern musste. Damals hatte er schnell festgestellt, dass das Leben auf einer Farm nichts für ihn war. Dennoch war er für die Lektionen dankbar, die er als Junge gelernt hatte – und für die Erinnerungen, die damit verbunden waren.
Es war der ideale Ort, um erwachsen zu werden. Hier gab es versteckte Pfade zu erkunden, einen Fluss, der an heißen Sommertagen erfrischende Abkühlung bot, einen Schuppen, in dem man auf Heuballen herumtoben konnte. Im Winter waren sie mit dem Schlitten die Hügel hinter dem Schuppen hinuntergesaust, mit dem Schneemobil über die Weiden gebrettert und hatten Mitternachtsritte unter einem frostklirrenden Sternenhimmel unternommen.
Sie waren alle sehr glücklich gewesen – bis zu jener schicksalsträchtigen Nacht vor zehn Jahren. Er verjagte die Erinnerung daran und holte tief Luft. Es roch nach Tannen und Vieh und nach Schnee, der bald fallen würde.
Im Stall steuerte er sofort auf die Box seines Lieblingspferdes zu – die Stute, die er vor sieben Jahren eingeritten hatte. Sie wieherte vor Freude, als sie ihn sah – und noch einmal, als er einen Apfel aus der Tasche holte.
Während sie die Köstlichkeit verspeiste, kraulte er ihr die Mähne. Destry füllte unterdessen die Wassertröge auf.
„Irgendwann muss ich noch mal mit ihr ausreiten“, verkündete Trace,
„Kann ich mit dir kommen?“
Er stellte sich vor, wie es wäre, Becca und ihre Tochter mitzunehmen. Bestimmt würde es ihnen gefallen. Vielleicht würde er es ihr nach den Feiertagen einmal vorschlagen. Sie wollte zwar nur seine Freundschaft, aber vielleicht änderte sie ihre Meinung, wenn sie mehr Zeit mit ihm verbrachte.
„Natürlich.“
Sie gingen zu ihrem Pferd, einem kleinen stämmigen Pony, das sie wegen seines fleckigen Fells Patches getauft hatte, als sie fünf Jahre alt gewesen war. Dabei unterhielt sie sich mit Trace über die Schule, ihre Freunde, ihre Hausaufgaben und über eine Schlafanzugparty, zu der sie während der Weihnachtsferien eingeladen war. Schließlich brachte er das Gespräch auf das Thema, dessentwegen er sie zu dem Spaziergang eingeladen hatte.
„Jetzt mal unter uns – was hat es wirklich mit deinen Weihnachtsgeschenken auf sich? Warum willst du in diesem Jahr Geld statt Geschenke?“
Einen Moment blieb sie stumm, aber er erriet an ihrem Blick, dass sie darauf brannte, ihm alles zu erzählen. „Versprichst du mir, dass du es Dad und Tante Caidy nicht verrätst?“
„Warum sollte ich es ihnen verraten?“, erwiderte er vorsichtig, denn er wollte ihr keine Versprechungen machen, die er möglicherweise nicht halten konnte. Manche Menschen glaubten, Kinder ungestraft belügen zu können. Er gehörte nicht zu dieser Sorte.
Seine ausweichende Antwort genügte ihr offenbar. Noch einmal schaute sie sich im Stall um, als ob sie befürchtete, belauscht zu werden. Vielleicht würde sogar Grunt es weitererzählen? Dann drehte sie sich wieder zu Trace um.
„Ich möchte es meiner Freundin schenken.“
„Deiner Freundin?“
Destry nickte. „Sie ist sehr krank. Vielleicht stirbt sie sogar. Ihre Mom … sie können sich die Operation nicht leisten, die sie braucht, um wieder gesund zu werden. Ich möchte nicht, dass sie stirbt. Sie ist erst neun Jahre alt. Genau wie ich. Ich und meine Freundinnen haben beschlossen, ihr zu helfen. Vielleicht kriegen wir genug Geld zusammen, damit sie operiert werden kann.“
Damit hatte er nun überhaupt nicht gerechnet. In der Regel wusste er über fast alles Bescheid, was in Pine Gulch geschah. Doch von einem kranken
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