Schoene, raetselhafte Becca
ihr gegeben hatte.
Sie hätte ihre Schwester gern zur Schule gefahren, aber um diese Zeit war zu viel zu tun, sodass sie die Archuletas’ nicht um eine Viertelstunde Pause bitten wollte. Immerhin hatten sie ihr einen Riesengefallen getan, als sie ihr den Job gegeben hatten.
Während sie einen Tisch am Fenster abräumte, behielt sie ihre Schwester im Auge. Im tristen Regen wirkte das Mädchen mit dem geblümten Regenschirm und den roten Stiefeln geradezu fröhlich.
Was sollte sie bloß mit Gabi anfangen? Erst seit zwei Monaten wusste sie, dass es überhaupt eine Schwester gab, nachdem sie jahrelang keinen Kontakt zu ihrer Mutter gehabt hatte. Die Kleine war ihr noch immer ein Rätsel. Manchmal war sie keck und rechthaberisch, manchmal deprimiert und in sich gekehrt. Statt sich verletzt und verraten zu fühlen, nachdem Monica sie bei Becca abgeliefert hatte, weigerte sie sich hartnäckig zu glauben, dass ihre Mutter nicht mehr zurückkehren würde.
Dafür war Becca doppelt wütend auf Monica. Vor zwei Monaten hatte sie noch geglaubt, ihr Leben im Griff zu haben. Sie hatte ein eigenes Haus in Scottsdale, liebte ihre Arbeit als Rechtsanwältin in einer Immobilienfirma, hatte einen großen Freundeskreis und seit mehreren Monaten eine Beziehung zu einem anderen Makler, die auf eine Verlobung hinauszulaufen schien.
Sie hatte hart daran gearbeitet, sich einen Platz im Leben und jene Sicherheit zu schaffen, von der sie, als sie in Gabis Alter gewesen war, nur hatte träumen können – bei dem unsteten Leben, das ihre Mutter als Trickbetrügerin geführt hatte.
Und dann war jener schicksalhafte Septembertag gekommen, an dem Monica erneut wie ein lästiges Insekt in ihrem Leben aufgetaucht war.
„Bestellung fertig!“, rief Lou aus der Küche und riss sie aus ihren Gedanken. Kein Geld, die Karriere im Eimer, kurz vor der Pleite. Ihr Freund hatte sie sitzenlassen, weil er befürchtete, ihre privaten Probleme könnten auch seine Karriere belasten. Sie hatte ihr Haus verkaufen müssen, um Monica aus der Patsche zu helfen.
Und jetzt war sie in einem verschlafenen Kaff im Südosten von Idaho gelandet und hatte die Verantwortung für eine Neunjährige, die überall lieber wäre als hier.
Zu allem Überfluss hatte sie auch noch die Aufmerksamkeit des Ortspolizisten erregt. Schlimmer konnte es kaum kommen.
Selbst wenn Trace Bowman der bestaussehende Mann war, der ihr seit Langem begegnet war, musste sie sich von ihm fernhalten. Fürs Erste hatten sie und Gabi ein Dach über dem Kopf, und mit dem kargen Lohn und dem Trinkgeld würden sie sich eine Zeit lang über Wasser halten können.
Sie konnte nur hoffen, dass Officer Bowman ihr keinen Strich durch die Rechnung machte.
2. KAPITEL
Trace lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte seine Serviette neben den leeren Teller. „Sehr lecker, Caidy. Wie immer. Das Roastbeef war besonders gut.“
Seine jüngere Schwester lächelte. Ihre blauen Augen strahlten im Licht des späten Novembernachmittags besonders hell. „Schön, dass es euch geschmeckt hat.“
„Wie können wir uns revanchieren?“
„Du könntest den Abwasch machen.“
Taft, Traces Zwillingsbruder, verzog das Gesicht. „Hab Mitleid“, bat er. „Ich habe die ganze Nacht gearbeitet.“
„Du warst die ganze Nacht im Dienst“, korrigierte Tracy ihn. „Aber auch im Einsatz – oder hast du nur im Feuerwehrhaus gepennt?“
„Darum geht es nicht“, protestierte Taft. „Egal, ob ich schlafe oder nicht – ich war bereit, falls meine Mitbürger mich brauchten.“
Die Nachtdienste der beiden Brüder waren häufig der Anlass für Neckereien zwischen den beiden. Während Trace nachts zahlreiche Einsätze hatte oder Papierkram erledigen musste, konnte Taft als Chef der Feuerwehr von Pine Gulch oft eine ruhige Kugel schieben. Doch trotz ihrer gutmütigen Sticheleien hielten die Brüder zusammen wie Pech und Schwefel.
„Hört auf, ihr zwei“, meldete sich Ridge, der älteste Bruder, zu Wort. Er maß sie mit einem strengen Blick, der Caidy an ihren Vater erinnerte. „Sonst verderbt ihr euch noch den Appetit für Destrys Nachtisch.“
„Es ist doch nur Pudding“, krähte seine Tochter. „Kalt angerührt.“
„Nun, er schmeckt, als stecke viel Arbeit drin“, entgegnete Taft grinsend. „Und das ist das Wichtige.“
Das Mittagessen auf der River Bow Ranch war eine geheiligte Tradition. Gleichgültig, wie beschäftigt sie unter der Woche waren – wenigstens sonntags versammelten sich die
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