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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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Tränenschleier gelegt hatte, starrte sie auf den Drink. An der Highschool hatte eines Tages jemand einen Zettel mit den Worten »Du Hure« in ihren Spind gelegt. Den ganzen Tag war sie stinkwütend, doch als sie am Abend zu Hause ihre Mutter sah, brach sie unerklärlicherweise in Tränen aus. Genauso fühlte sie sich jetzt bei Alvis’ Anblick – sogar bei dem seines betrunkenen, Vorträge haltenden Alter Ego. Sorgfältig tupfte sie sich die Augen und setzte das Glas erneut an, um auszutrinken. Sie reichte es dem Geschäftsführer. »Harry, könnten Sie uns Wasser und vielleicht etwas zu essen für Mr. Bender bringen?«
    Harry nickte.
    Als sie durch die plappernde Menge schritt, erntete sie von allen Seiten Blicke. Sie kam noch rechtzeitig, um Alvis’ Vortrag – Bobby kann Johnson schlagen – auf seinem Höhepunkt mitzubekommen: »… und ich behaupte, dass die einzige bedeutsame Leistung der Regierung Kennedy, nämlich die Rassenintegration, sowieso auf Bobbys Konto geht – und schau dir diese Frau an!«
    Alvis strahlte sie an, und die Winkel seiner rumgetränkten Augen schienen zu schmelzen. Sein Arm löste sich, der Kellner suchte das Weite und bedankte sich mit einem Nicken bei Debra für ihr rechtzeitiges Erscheinen. Wie ein sich öffnender Sonnenschirm stand Alvis auf. Ganz Gentleman zog er ihren Stuhl heraus. »Immer wenn ich dich sehe, verschlägt es mir den Atem.«
    Sie nahm Platz. »Ich hatte wohl vergessen, dass wir heute Abend ausgehen.«
    »Am Freitag gehen wir doch immer aus.«
    »Heute ist Donnerstag, Alvis.«
    »Sei nicht so ein Gewohnheitstier.«
    Harry brachte beiden ein großes Glas Wasser und einen Teller Frühlingsrollen.
    Alvis nippte an seinem Wasser. »Das ist der miserabelste Martini, der mir je untergekommen ist, Harry.«
    »Anordnung der Dame, Alvis.«
    Debra nahm Alvis die Zigarette weg und drückte ihm stattdessen eine Frühlingsrolle in die Hand, die er an die Lippen setzte, als würde er sie rauchen. »Mild«, konstatierte er sinnierend. Debra nahm einen tiefen Zug von der Zigarette.
    Während er an der Frühlingsrolle nagte, stellte Alvis eine näselnde Frage: »Und wie läuft es im The-a-tah , Liebling?«
    »Ron treibt mich in den Wahnsinn.«
    »Ah. Der Regisseur mit den Frühlingsgefühlen. Soll ich deinen Hintern auf Fingerabdrücke überprüfen?« Sein Witz kaschierte eine leichte Unsicherheit.
    Sie freute sich über beides: den Anflug von Eifersucht und die lässige Art, wie er darüber hinwegging. Das hätte sie Ron sagen müssen. Ihr Mann war erwachsen und hatte diese kleinlichen Unsicherheitsspielchen längst hinter sich. Sie erzählte Alvis, dass Ron sie ständig unterbrach und drängte, Maggie völlig übertrieben zu spielen – hauchend und dumm wie eine Marilyn-Monroe-Karikatur. »Ich hätte mich nie darauf einlassen sollen.« Mit zielsicherem Griff deponierte sie die Zigarette im Aschenbecher und verbog den Filter wie ein Kniegelenk.
    »Ach, komm.« Er zündete sich wieder eine an. »Du hast doch einfach zusagen müssen, Debra. Wer weiß, wie viele solche Chancen man im Leben kriegt?« Er redete natürlich nicht nur von ihr, sondern auch von sich – Alvis der gescheiterte Schriftsteller, der sein Leben mit dem Verkaufen von Chevys verschwendete und für immer dazu verdammt war, der schlauste Typ im ganzen Betrieb zu sein.
    »Er hat gemeine Sachen gesagt.« Debra erzählte Alvis nicht, dass Ron sie begrapscht hatte (damit kam sie schon klar) und dass er Alvis als alten Alkoholiker bezeichnet hatte. Aber die andere schlimme Bemerkung gab sie wieder: Du benutzt die Menschen. Spielst mit ihrem Leben und behandelst sie wie Dreck. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, brach Debra in Tränen aus.
    »Baby, Baby.« Er versetzte seinen Stuhl und legte den Arm um sie. »Es macht mir Sorgen, wenn du wegen diesem Blödmann weinst. Das ist der Kerl doch überhaupt nicht wert.«
    »Ich weine ja nicht wegen ihm.« Debra wischte sich die Augen. »Aber was ist, wenn er recht hat?«
    »Meine Güte, Dee.« Alvis winkte Harry Wong heran. »Harry, sehen Sie dieses Häufchen Elend an meinem Tisch?«
    Der Geschäftsführer bezeugte es lächelnd.
    »Und fühlen Sie sich von ihr benutzt?«
    »Nein, aber ich wäre jederzeit dazu bereit.«
    »Deswegen muss man immer eine zweite Meinung einholen«, erklärte Alvis. »Also, Dr. Wong, haben Sie vielleicht ein Mittel gegen solche Wahnvorstellungen? Am besten gleich Doppelte, bitte.«
    Als Harry verschwunden war, wandte sich Alvis an sie. »Jetzt

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