Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
Vom Netzwerk:
darin anklang, dass sie in einer schweren Phase ihres Lebens ihr Aussehen eingesetzt hatte, um die Liebe eines älteren Mannes, um ein wenig Sicherheit und einen brandneuen Corvair zu gewinnen, und dass sie zugunsten ihres Spiegelbildes in seinen verliebten Augen die Liebe aufgegeben hatte? Vielleicht war sie doch wie Maggie. Da musste sie wieder weinen.
    Hypnotisiert von den glitzernden Rücklichtern, folgte sie dem Biscayne. Die Denny Street war fast leer. Eigentlich mochte sie Alvis’ Wagen nicht. Es war so eine Altherrenlimousine. Er konnte sich in der Firma jeden Chevy aussuchen, und er nahm einen Biscayne! Bei der nächsten roten Ampel stoppte sie neben ihm und kurbelte ihr Fenster nach unten. Er beugte sich über den Beifahrersitz und ließ ebenfalls die Scheibe herunter.
    »Du brauchst wirklich ein neues Auto«, sagte sie. »Warum holst du dir nicht eine Corvette?«
    »Geht nicht.« Er zuckte die Achseln. »Ich hab jetzt ein Kind.«
    »Und Kinder mögen keine Corvettes?«
    »Kinder lieben Corvettes.« Wie ein Magier oder eine Verkäuferin in einem Autosalon winkte er nach hinten. »Aber es gibt keinen Rücksitz.«
    »Wir können ihn aufs Dach setzen.«
    »Fünf Kinder willst du aufs Dach setzen?«
    »Haben wir fünf?«
    »Hab ich dir das noch nicht erzählt?«
    Sie lachte und spürte den unbestimmten Wunsch … wonach eigentlich? Danach, sich zu entschuldigen? Oder ihm – vielleicht um sich selbst zu beruhigen – zum tausendsten Mal ihre Liebe zu beteuern?
    Alvis schob sich eine Zigarette in den Mund und steckte sie mit dem Zigarettenanzünder an, der einen gelben Schein auf sein Gesicht warf. »Schluss mit dem Rumgenörgel an meinem Wagen.« Er zwinkerte mit einem trüben, braunen Auge und stieg zugleich auf Gas und die Bremse, bis der starke Motor aufheulte und unter den quietschenden Reifen gelber Rauch hervorqualmte. Genau als die Ampel vor ihm auf Grün schaltete, nahm er den Fuß von der Bremse, und das Auto machte einen Satz nach vorn. Was dann passierte, kam in Debra Benders Erinnerung immer erst nach dem Krach: Der Biscayne schoss auf die Querstraße, gerade als ein alter schwarzer Pick-up ohne Licht – den ein anderer Betrunkener im letzten Moment voll aufdrehte, um eine dunkelgelbe Ampel zu schaffen – donnernd von links heranraste, den Biscayne von der Seite rammte, die Fahrertür eindrückte und ihn mit dem endlosen Kreischen von Stahl und Glas über die Kreuzung schob, begleitet von Debras Schreien, die genauso schrecklich schrill waren, aber noch lange weiter gellten, nachdem die ineinander verkeilten Fahrzeuge am Bordstein auf der anderen Straßenseite zum Stillstand gekommen waren.

17
    Die Schlacht um Porto Vergogna
    April 1962
    Porto Vergogna, Italien
    P asquale beobachtete, wie Richard Burton und Michael Deane hinunter zu ihrem gemieteten Schnellboot hasteten, verfolgt von Tante Valeria, die mit ihrem krummen Finger auf sie deutete und kreischte: »Totschläger! Meuchelmörder!« Mit wackligen Beinen stand Pasquale auf. Die Welt war zerbrochen, war in so viele Teile zersplittert, dass er sich nicht klar werden konnte darüber, nach welchem er greifen sollte: sein Vater und seine Mutter beide tot, Amedea und sein Sohn in Florenz, seine Tante, die den Filmleuten Verwünschungen nachschrie. Die Scherben seines zerbrochenen Lebens lagen vor ihm wie ein Spiegel, in dem er sich immer betrachtet hatte, doch der erst jetzt, nachdem er zerborsten war, sein wahres Gesicht zeigte.
    Fluchend und flennend watete Valeria ins Wasser; sie hatte Spucke auf den grauen Lippen, als Pasquale sie erreichte. Das Boot hatte vom Pier zurückgestoßen. Pasquale fasste seine Tante an den dünnen, knochigen Schultern. »Nein, Zia. Lass sie fahren. Schon gut.« Michael Deane blickte ihn vom Boot aus an, doch Richard Burton starrte nach vorn und rollte den Hals seiner Weinflasche zwischen den Händen, als sie auf den Wellenbrecher zuhielten. Weiter hinten verfolgten schweigend die Frauen der Fischer das Ganze. Wussten sie, was Valeria getan hatte? Weinend sank sie zurück in Pasquales Arme. Zusammen standen sie am Ufer und beobachteten, wie sich der Bug des Schnellboots stolz aufrichtete, als der Fahrer beschleunigte, und donnernd hinter der Landzunge verschwand.
    Pasquale stützte Valeria auf dem Weg zurück zum Hotel und brachte sie in ihr Zimmer, wo sie sich weinend und stammelnd ins Bett legte. »Ich habe eine schreckliche Sünde begangen.«
    »Nein«, entgegnete Pasquale. Zwar hatte Valeria tatsächlich die

Weitere Kostenlose Bücher