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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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als hätte sie ganz leicht den Kopf gedreht, um die andere Schönheit anzusehen, die echte, die neben dem jungen Italiener an der Wand kauerte. Nicht zum ersten Mal bemerkte Pasquale, wie das wandernde Sonnenlicht die Gemälde veränderte und ihnen Leben einhauchte.
    »Glaubst du, dass er sie wiedergesehen hat?«, flüsterte Dee. »Der Maler, meine ich.«
    Auch Pasquale hatte sich diese Frage schon öfter gestellt: War es dem Künstler gelungen, nach Deutschland zurückzukehren, zu der Frau auf den Porträts? Aus den Erzählungen der Fischer wusste er, dass die meisten deutschen Soldaten hier im Stich gelassen und von den Amerikanern bei ihrem Befreiungszug durch das Land gefangen genommen oder getötet worden waren. Ob die deutsche Frau je davon erfahren hatte, dass jemand sie aus Liebe zweimal an die kalte Zementwand eines Maschinengewehrbunkers gemalt hatte?
    »Ja«, antwortete Pasquale. »Glaube ich.«
    »Und sie haben geheiratet?«
    Pasquale sah alles genau vor sich. »Ja.«
    »Hatten sie Kinder?«
    »Un bambino.« Einen Jungen. Die Worte überraschten ihn selbst, und seine Brust tat ihm weh wie manchmal der Bauch nach einem üppigen Essen; es war einfach zu viel.
    »Neulich hast du gesagt, du wärst auf Knien von Rom hergekrochen, um mich zu sehen.« Dee drückte Pasquales Arm. »Das war wirklich lieb von dir.«
    »Ja.« Es ist nicht so einfach –
    Wieder schmiegte sie sich an seine Schulter. Das Licht der Schießscharten schob sich immer weiter die Wand hinauf und hatte die Bilder hinter sich gelassen – nur noch ein einziges Rechteck in der oberen Ecke des letzten Frauenporträts war von dem Sonnenspektakel übrig.
    Sie wandte ihm das Gesicht zu. »Meinst du wirklich, dass der Maler zu ihr zurückgekehrt ist?«
    »O ja.« Pasquales Stimme war heiser.
    »Und das sagst du nicht bloß so, damit ich mich besser fühle?«
    Weil es ihn innerlich fast zerriss und weil er seine Gedanken – dass man umso mehr von Reue und Sehnsucht heimgesucht wurde, je länger man auf der Welt war, dass das Leben eine einzige glorreiche Katastrophe war – auf Englisch nicht ausdrücken konnte, antwortete Pasquale Tursi nur: »Ja.«
    Es war später Nachmittag, als sie das Dorf erreichten und Pasquale Dee Moray und Alvis Bender miteinander bekannt machte. Alvis las gerade auf der Terrasse des Hotels, und sein Buch fiel auf den Stuhl, als er aufsprang. Unbeholfen schüttelten sich Dee und Alvis die Hand, und dem sonst so mit teilsamen Bender hatte es anscheinend die Sprache ver schlagen – vielleicht wegen ihrer Schönheit oder wegen der Ereignisse des Tages.
    »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte sie. »Leider muss ich mich jetzt gleich zurückziehen und mich hinlegen. Ich habe eine anstrengende Wanderung hinter mir und bin furchtbar erschöpft.«
    »Natürlich, das verstehe ich.« Erst jetzt dachte Alvis daran, den Hut abzunehmen, den er unsicher an die Brust drückte.
    Und dann dämmerte Dee etwas. »Ach, Mr. Bender.« Sie wandte sich noch einmal um. »Der Autor?«
    Verlegen senkte er den Blick. »O nein, kein wirklicher Autor.«
    »Doch, auf jeden Fall«, widersprach sie. »Ihr Buch hat mir sehr gefallen.«
    »Danke.« Bender errötete auf eine Weise, wie es Pasquale bei dem hochgewachsenen, kultivierten Amerikaner noch nie gesehen und für möglich gehalten hatte. »Ich meine … es ist natürlich nicht fertig. Es gibt noch mehr zu erzählen.«
    »Sicher.«
    Alvis schielte zu Pasquale, dann sah er wieder die hübsche Schauspielerin an. Er lachte. »Allerdings … offen gestanden ist das so ziemlich alles, was ich bisher schreiben konnte.«
    Auf ihren Lippen erschien ein warmes Lächeln. »Nun … vielleicht ist das eben alles. Und wenn ja – ich finde es jedenfalls sehr gelungen.« Damit entschuldigte sie sich und verschwand im Haus.
    Pasquale und Alvis Bender standen nebeneinader auf der Terrasse und starrten auf die geschlossene Hoteltür.
    Schließlich erwachte Alvis aus seiner Benommenheit. »Mann. Das ist Burtons Geliebte? Nicht, was ich erwartet hätte.«
    »Nein.« Mehr brachte Pasquale nicht heraus.
    Valeria war wieder in der Küche und kochte. Pasquale wartete, bis sie mit einem Topf Suppe fertig war, dann trug er eine Schale hinauf zu Dees Zimmer, doch sie schlief bereits. Er sah genau hin, um sicher zu sein, dass sie atmete. Nachdem er ihr die Schale auf den Nachttisch gestellt hatte, stieg er wieder hinunter in die Trattoria, wo Alvis Bender beim Essen saß und zum Fenster hinausstarrte.
    »Der Ort hier ist

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