Schöne Ruinen
Hoffnungslosigkeit. Was ist bloß mit ihr los, wie konnte sie mit diesem Typen auf sein Zimmer gehen? Und was soll sie jetzt mit ihren Händen anfangen, die vor nicht allzu langer Zeit über Shanes Haar und verschiedene andere Teile seines Körper gestrichen sind? Sie greift nach ihrem Blackberry und gibt sich einen Datenschuss: sieben Uhr, sechzehn Grad, neun neue E-Mails, zwei Telefonanrufe und eine simple SMS von Daryl: was los –
Über die Schulter schielt sie nach Shane. Sein Haar wirkt noch widerspenstiger als gestern Abend, und die Koteletten erinnern eher an den späten Elvis als an einen Hipster. Er hat das Hemd ausgezogen, und auf seinem mageren linken Arm ist dieses verdammte Tattoo HANDLE zu erkennen, das zu einem guten Teil daran schuld ist, was letzte Nacht passiert ist. Nur im Film erfordert so ein Moment eine alkoholbenebelte Rückblende: wie Michael sie gebeten hat, im W Zimmer für Shane und Pasquale zu reservieren, wie sie den Italiener ins Hotel fuhr, der sich kurz darauf müde zurückzog, wie sie sich bei Shane, der im Mietauto gefolgt war, entschuldigte, weil sie über seinen Pitch gelacht hatte, wie er es mit einem Achselzucken abtat, aber auf eine Weise, die klar machte, dass es ihm nahegegangen war. Wie sie beteuerte: Nein, es tut mir wirklich leid , und erklärte, dass es nicht an ihm lag, sondern an ihrem beruflichen Frust. Wie er sein Verständnis äußerte und meinte, dass ihm nach Feiern zumute war, wie sie ihn an der Bar zu einem Drink einlud und ihn sanft daran erinnerte, dass es nur der erste Schritt war, das Interesse eines Produzenten zu wecken; wie er die nächsten Drinks bestellte (ich hab gerade zehntausend verdient, da kann ich mir doch zwei Cocktails leisten) und sie die danach; und wie sie sich bei all diesen Drinks mehr und mehr erzählten: erst die oberflächliche, selbstverliebte Geschichte, die man einem Fremden auftischt – Familie, Studium, Karriere –, und dann die Wahrheit, Shanes gescheiterte Ehe und die Ablehnung seiner Kurzgeschichtensammlung, Claires anscheinend falsche Entscheidung, den Schutz der akademischen Welt zu verlassen, und ihre quälenden Zweifel, ob sie wieder zurückkehren soll; Shanes schmerzliche Erkenntnis, dass er ein Milchkalb ist, Claires geplatzter Traum, wenigstens einen großen Film zu machen; und dann die lauten, lachkrampffördernden Bekenntnisse – Mein Freund ist ein umwerfender Zombie, der auf Stripclubs steht! und Ich lebe im Keller meiner Eltern, ungelogen! –, und mit den nächsten Drinks wurde Banales zur Offenbarung – Ich mag Wilco und Wilco mag ich auch! oder Meine Lieblingspizza ist Thai und Meine auch! –, dann rollte Shane den Ärmel seines Westernhemds hoch, Claires Blick fiel auf das Tattoo (immer diese Schwäche für Tinte), dieses eine Wort HANDLE , und sie konnte einfach nicht anders, sie beugte sich vor und küsste ihn, und er legte ihr beim Küssen die Hand auf die Wange, eine schlichte Geste, seine Hand auf ihrer Wange, aber etwas, was Daryl nie machte, und zehn Minuten später waren sie in seinem Zimmer, durchstöberten die Minibar nach weiterem Treibstoff und knutschten herum wie College-Kids, sie kichernd, weil seine buschigen Koteletten kitzelten, er Komplimente zu ihren Brüsten äußernd – eine süße, zwei Stunden dauernde Diskussion voller Küsse, Gefummel und Gelächter darüber, ob sie miteinander schlafen sollten oder nicht (er: Ich neige zu einem Ja ; sie: Ich schwanke noch ), bis sie … offensichtlich eingeschlafen sind.
Und jetzt, am Morgen danach, setzt sich Claire auf. »Das war nicht besonders professionell von mir.«
»Hängt ganz von der Profession ab.«
Sie grinst. »Wenn du dafür bezahlt hast, bist du reingelegt worden.«
Erneut legt er die Hand auf ihre Hüfte. »Wir haben noch Zeit.«
Lachend pflückt sie die Hand weg und legt sie aufs Bett. Dabei kann sie nicht behaupten, dass sie nicht in Versuchung wäre. Das Küssen und Herumwälzen war nett; und auch der Sex wäre wohl gut. Mit Daryl war der Sex die Hauptsache, das Verkaufsargument, das Fundament der ganzen Beziehung. Doch in den letzten Monaten hatte sie das Gefühl, dass die Intimität versickert ist und dass es jetzt beim Sex mit Daryl bloß noch zwei deutlich unterschiedliche Phasen gibt: die ersten zwei Minuten wie die Untersuchung von einem autistischen Gynäkologen; die nächsten zehn der Besuch des Spezialisten von der Abflussreinigung. Zumindest kann sie sich vorstellen, dass Shane bei der Sache wäre.
Hin- und
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