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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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hergerissen steht sie auf, um zu überlegen, um Zeit zu gewinnen.
    »Wo gehst du hin?«
    Claire hält ihr Telefon hoch. »Ich hab noch immer einen Freund.«
    »Ich dachte, du willst dich von ihm trennen.«
    »Hab mich noch nicht entschieden.«
    »Dann entscheide ich für dich.«
    »Sehr freundlich, aber das sollte ich wohl selbst erle digen.«
    »Und wenn der Pornozombie fragt, wo du die ganze Nacht warst?«
    »Ich werd’s ihm wohl sagen.«
    »Wird er sich dann von dir trennen?«
    Sie hört einen Funken Hoffnung in der Frage. »Keine Ahnung.« Sie zieht den Stuhl unter dem Schreibtisch heraus und setzt sich hin, um die Anrufe und E-Mails nach Daryls letzter Nachricht zu durchblättern.
    Auch Shane setzt sich jetzt auf, schwingt die Beine über die Bettkante und klaubt sein Hemd vom Boden. Sie blickt auf und muss unwillkürlich lächeln über seine dürre Gestalt. Er ist eine ältere Version der Jungs, in die sie sich am College immer verknallte: in der Nähe von gut aussehend, aber noch ein paar Blocks entfernt. Körperlich ist er das schiere Gegenteil von Daryl (Daryl mit dem wuchtigen Kinn und der breiten, von fünfhundert Liegestützen am Tag gestählten Brust): schmale Kanten und vorstehende Schlüsselbeine, nur der Hauch eines Bauchansatzes. »Wann genau hast du eigent lich dein Hemd ausgezogen?«
    »Bin mir nicht sicher. Ich wollte wohl einen Trend auslösen.«
    Sie wendet sich wieder ihrem Blackberry zu und öffnet Daryls SMS . Sie überlegt, was sie auf was los antworten soll. Ihre Daumen schweben über den Tasten, aber ihr fällt nichts ein.
    »Was hast du eigentlich in diesem Typen gesehen?«, fragt Shane. »Ursprünglich?«
    Claire hebt den Kopf. Ja, was hat sie gesehen? Es ist zu kitschig, um es auszusprechen, aber sie hat all diesen klischeehaften Kram gesehen: Sterne. Lichtblitze. Babys. Eine Zukunft. Und zwar schon in der allerersten Nacht, als sie durch ihre Wohnungstür krachten, Kleider von sich warfen, mit gierigen Lippen und forschenden Händen übereinander herfielen. Dann hob er sie hoch, und all ihr Gefummel am College wurde so unbedeutend wie eine Zufallsbegegnung im Treppenhaus. Sie hatte das Gefühl, vor Daryls erster Berührung überhaupt nicht richtig gelebt zu haben. Und dabei ging es nicht nur um Sex: Er war in ihr. Nicht nur im banalen körperlichen Sinn, sondern viel weitergehend. Das wurde ihr klar, als sie mittendrin aufblickte und sich selbst … alles von ihr … in seinen Augen sah.
    Claire schüttelt die Erinnerung ab. Wie soll sie so etwas beschreiben, vor allem hier? Also sagt sie nur: »Einen Sixpack. Ich hab einen Sixpack gesehen.« Und merkwürdig: Dass sie Daryl auf seine Bauchmuskeln reduziert, macht ihr mehr zu schaffen, als die zurückliegende Nacht mit einem Fremden in einem Hotelzimmer.
    Wieder deutet Shane mit dem Kinn auf das Handy in ihrer Hand. »Und … was schreibst du ihm jetzt?«
    »Keine Ahnung.«
    »Schreib ihm, wir verlieben uns gerade; dann ist es aus.«
    »Ja?« Sie schaut auf. »Verlieben wir uns gerade?«
    Lächelnd zerrt er an den Knöpfen seines Westernhemds. »Vielleicht. Möglich wäre es. Wie sollen wir es rausfinden, wenn wir nicht den Tag miteinander verbringen?«
    »Einer von der impulsiven Sorte?«
    »Der Schlüssel zu meinem verschrobenen Charme.«
    Gottverdammt, denkt sie, Charme trifft die Sache ziemlich gut. Shane hat ihr erzählt, dass er die herbe Kellnerin, die kein Blatt vor den Mund nimmt, erst wenige Monate kannte, als er sie heiratete. Und das überrascht sie nicht: Wer kommt auf die Idee, von verlieben zu reden, wenn er eine Frau vor vierzehn Stunden kennengelernt hat? Er hat etwas unbestreitbar … Optimistisches an sich. Sie weiß nicht, ob sie selbst je diese Eigenschaft besessen hat. »Darf ich dir jetzt auch eine Frage stellen? Warum die Donner-Party?«
    »O nein«, antwortet er. »Du willst dich nur wieder über mich lustig machen.«
    »Ich hab mich doch schon tausendmal entschuldigt. Wie soll ich es erklären … Michael hat jede Idee, die ich ihm vorgelegt habe, als zu düster, zu teuer, zu historisch … zu wenig kommerziell abgelehnt. Und dann kommst du daher – nichts für ungut – mit dem düstersten, unkommerziellsten, teuersten historischen Film, der mir je begegnet ist, und er ist begeistert. Es ist einfach so … unwahrscheinlich. Mich interessiert bloß, wie du darauf gekommen bist.«
    Achselzuckend greift Shane nach einer Socke auf dem Boden. »Ich habe drei ältere Schwestern. Meine frühen Erinnerungen drehen

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