Schöne Sauerei: Ein Schweinekrimi (German Edition)
zukriechen, und ihr war warm, sie hatte furchtbaren Durst. Sie musste zum Hof zurücklaufen, Dörthe her-
holen. Ewig konnte sie die Vögel nicht abwehren, und wer wusste, wer sonst noch aus dem Wald kommen würde, um sich über den Toten herzumachen.
»Bist du von den Schwarzen zurück?«, rief Che ihr überaus unfreundlich zu, kaum dass sie sich durch den Durchschlupf gezwängt hatte. Zum Glück hatte Deng ihn noch nicht wieder verschlossen. »Wir müssen mit dir reden – wir haben einen Entschluss gefasst.«
Kim bedachte Che nicht einmal mit einem abfälligen Blick. Sie lief zu einer der Zinkwannen und löschte ihren Durst. Irgendwie musste sie es schaffen, Dörthe zu dem Toten zu führen.
Cecile trabte heran, ihr Ringelschwänzchen wippte hin und her, wie immer, wenn sie ziemlich aufgeregt war.
»Che und Brunst – sie wollen dich verstoßen«, piepste sie.
»Ach ja?« Diese Bannsprüche kannte Kim schon von den beiden. Immer wenn ihnen etwas nicht passte, sollte sie klein beigeben.
»Ja, sie meinen, du hättest dir bei den Schwarzen eine Krankheit geholt, deshalb sollst du ein bestimmtes Stück Wiese bekommen, das du nicht mehr verlassen darfst.«
»Das haben die beiden sich ja gut ausgedacht.« Kim blickte das Minischwein an, das wirklich sorgenvoll aussah. »Ich wette, ich bekomme das winzige Stück vorne am Gatter, bis zum ersten Apfelbaum.«
Cecile blickte zum Gatter, als müsste sie sich krampfhaft erinnern, um welches Stück Wiese es gegangen war, dann nickte sie eifrig. »Ja, genau! Woher weißt du das?«
Kim hatte ihren Durst gestillt. Nun konnte sie sich auf die Suche nach Dörthe machen. »Weil diese Ecke am weitesten vom Durchschlupf entfernt liegt«, antwortete sie. »Sag unserem Oberrevolutionär, dass die Wiese uns allen gehört. Und dass ich ihn nicht liebe und niemals lieben werde – schon gar nicht, wenn er solche Sprüche klopft.« Wahrscheinlich führte Che sich wieder nur aus dummer Eifersucht so auf.
»Lieben?«, fragte Cecile vollkommen arglos. »Was ist denn dieses Lieben eigentlich genau?«
Kim überlegte einen Moment. »Liebe ist, wenn es im Kopf zu spinnen anfängt – unter anderem«, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu.
Cecile drehte ab. »Che, bei dir im Kopf fängt es zu spinnen an, meint Kim«, quiekte sie quer über die Wiese.
Kim lief zum Gatter. Von Dörthe war nichts zu sehen. Auch der blonde James war nicht zurückgekehrt. Sie grunzte einmal. Manchmal klappte es, und Dörthe blickte auf ihr Grunzen hin aus dem Fenster in der oberen Etage, wo sie schlief.
Nichts. Keine Reaktion.
Stattdessen lief Deng über die Wiese. Er baute sich vor Kim auf und nickte ihr zu.
»Alles in Ordnung mit Kim?«, fragte er. »Herrin macht Ärger, wenn Kim krank wird.« Er hatte wieder eine Schale in der Hand, die er ihr hinhielt. »Tee erleuchtet den Verstand, schärft die Sinne und verleiht Energie.«
Die Flüssigkeit war gelblich und roch anders als das Wasser, das er ihr gestern gereicht hatte. Trotzdem wandte Kim sich mit einem entrüsteten Schnauben ab.
»Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene anbietet«, erklärte er lächelnd, ohne ihr jedoch zu folgen.
Manchmal, dachte Kim, redete er wirklich sehr merkwürdiges Zeug. Sie beobachtete, wie er Brunst die Schale hinhielt, der auch sogleich und ohne jedes Zögern seinen Rüssel hineintauchte. Zwei Wimpernschläge, und der fette Eber hatte die Schale geleert. Deng nickte ihm lächelnd zu und verschwand im Stall. Nach einer Weile kehrte er mit einem Stuhl zurück und setzte sich unter den Apfelbaum, der eigentlich Cecile gehörte.
Kim wartete auf Dörthe, doch sie zeigte sich nicht. War sie irgendwohin gefahren, um den toten Jan zu suchen? Wohl kaum. Ein anderer Plan musste her. Bedächtig näherte Kim sich Deng. Er hockte im Sonnenlicht, sein kleines schwarzes Buch, das er immer nach der Arbeit hervornahm, auf den Knien. Selbst beim Lesen lächelte er; seine rechte Hand fuhr auf und ab, während er das, was er las, leise vor sich hin sprach. »Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln. Erstens durch Nachdenken – das ist der edelste, zweitens durch Nachahmen – das ist der leichteste, und drittens durch Erfahrung – das ist der bitterste Weg.«
Kim stieß einen leisen Grunzer aus. Wenn Dörthe nicht da war, würde es zur Not auch ausreichen, Deng zu dem Toten zu führen.
Deng blickte auf. »Na, Kim, interessierst du dich auch für Philosophie?«, fragte er
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