Schöne Sauerei: Ein Schweinekrimi (German Edition)
»Kam gerade in den Nachrichten. Sie haben verzichtet. Wegen des Feuers und weil wir alle nicht wollen. Der Flughafen wird nicht gebaut.« Dann beugte er sich vor und küsste Max mit einem lauten Schmatzen auf die Wange.
Angeekelt wandte Kim sich ab.
26
Sie begriff, dass sie es nicht gewöhnt war, ganz allein über die Wiese zu trotten. Die anderen behandelten sie, als hätte sie die Schweinepest oder – schlimmer noch – als wäre sie gar nicht da. Nur Doktor Pik redete hin und wieder mit ihr, doch meistens lag er im Stall, weil er sich müde und erschöpft fühlte. Sabeth warf ihnen Futter auf die Wiese und füllte die Zinkwannen mit Wasser auf, aber kein gutes Wort kam von ihr. Und Dörthe? Sie war bisher nicht zurückgekehrt, sosehr Kim es auch erhoffte. Insgeheim wandte sie sich sogar an Sus Scrofa, den angeblichen Urvater, und an Paula, ihre tote Mutter, und bat sie, dafür zu sorgen, dass Dörthe wieder auf den Hof kam. Ohne Erfolg bisher.
Und auch von Lunke keine Spur. Kim machte sich bittere Vorwürfe. Hatte sie ihn endgültig vertrieben? Lebte er vielleicht gar nicht mehr? Den ganzen Tag lag sie auf der Lauer, blickte zur Zufahrt zum Hof oder zum Wald hinüber, ob sich irgendwo etwas regte.
Warum gehst du nicht und suchst Lunke?, fragte sie sich, aber irgendetwas hielt sie zurück, als wäre sie nicht sicher, ob sie dann nicht endgültig ihren Platz auf der Wiese verwirkte.
Kein Schwein sollte allein sein, fand sie und fühlte sich doch zugleich so einsam wie noch nie in ihrem Leben.
Was sollte werden, wenn Dörthe nicht zurückkam? Sabeth, die missmutig über den Hof lief und beaufsichtigte, wie zwei Männer in blauen Overalls das ausgebrannte Kabriolett auf einen Lastwagen luden, würde bestimmt nicht für immer bleiben. Außerdem war sie nicht ihre Herrin – Dörthe war diejenige, die ihnen Fressen und Schutz gegeben hatte.
Kim beobachtete, wie Che und Brunst die Köpfe zusammensteckten. Die beiden heckten offenbar etwas aus – nein, Che wollte Brunst etwas erklären, was der allerdings nicht verstand. Irgendwann trabte der fette Eber davon und legte sich unter seinen Apfelbaum, um zu schlafen. Kim überlegte, ob sie seine Nähe suchen sollte, doch damit hätte sie zugegeben, dass ihr die Einsamkeit zu schaffen machte.
Als es zu dämmern begann, kam Doktor Pik zu ihr. Er wirkte traurig.
»Ich fühle, dass meine Zeit gekommen ist«, sagte er leise. »Ich habe geträumt, dass ich Anna, meine geliebte Anna bald wiedersehe.«
Kim erschrak, aber dann dachte sie daran, dass Doktor Pik schon häufiger von seinem Tod gesprochen hatte.
»Du musst dich entscheiden«, fuhr er fort. »Auch Schweine haben Träume.«
»Träume?«, wiederholte Kim.
»Ja«, erwiderte Doktor Pik ernst. »Liebst du Lunke, oder liebst du ihn nicht? Das ist doch die Frage, die dich beschäftigt, oder irre ich mich?«
Kim nickte, obwohl sie sich gar nicht so sicher war.
»Auch wir Schweine können uns eine Menge ausdenken.« Doktor Pik schaute sie gütig an. »Letztlich zählt jedoch am meisten, mit wem wir auskommen. Ich habe meine Liebe nie verloren, sondern habe sie immer mit mir he-
rumgetragen, auch wenn Anna nicht mehr bei mir war. Und manchmal ist es seltsam mit der Liebe. In meinem Wanderzirkus hat es zwei Artisten gegeben – einen Mann und eine Frau. Der Mann ist der Frau hinterhergelaufen, er hat nur für sie in der Manege die größten Kunststücke vorgeführt, doch erst als er einmal abgestürzt ist und sich verletzt hat, hat sie begriffen, dass sie ihn liebt.« Doktor Pik schenkte Kim einen mitfühlenden Blick, dann wandte er sich um und trottete langsam und schwerfällig in den Stall zurück.
Kim war verwirrt, sie wusste nicht, was sie dachte oder denken sollte. Dörthe sollte zurückkommen, es sollte alles wieder so werden, wie es gewesen war, und Lunke … sie wollte einfach, dass es ihm gut ging.
Als Letzte, nachdem es endgültig dunkel geworden war, ging sie in den Stall. Die anderen schliefen längst oder taten zumindest so.
Beim ersten Sonnenstrahl riss Kim etwas aus dem Schlaf. Sie hatte von Lunke geträumt. Wie ein Vogel war er in den blauen Himmel davongeflogen, während sie auf der Wiese hatte zurückbleiben müssen. Dabei war er schlank und schön gewesen, sie jedoch war ein fettes, faltiges Schwein geworden.
Missmutig trabte sie hinaus und beschloss, ihn doch im Wald zu suchen. Vögel sangen, die Sonne kroch über den Horizont. Irgendwie wirkte die Welt jung und neu, und ihre Stimmung begann
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