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Schoener Schlaf

Schoener Schlaf

Titel: Schoener Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt , Friedemann Grenz
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entkorkte den Rioja, schenkte ein und hielt das Glas gegen das Licht. Dunkelrot funkelnd – wie Blut. Das Brot knackte, als sie es brach.
    Sonst brachte dieser Tag keine guten Nachrichten. Die Bank teilte Anna mit, dass ihr Konto gesperrt sei. Sie solle ihren Überziehungskredit zügig ausgleichen.
    Anna verdünnte den Wein in ihrem Glas mit Mineralwasser – sozusagen eine erste Sparmaßnahme – und setzte sich auf den Balkon. Die Lage war desolat. Sie nahm einen kräftigen Schluck und überlegte, wie sie schnell und ohne großen Aufwand an dreitausend Euro kommen konnte. Sie kam zu keinem Ergebnis, stand auf, zupfte die abgeblühten Kelche ihrer Blumen vom Stängel und warf sie über die Brüstung.
    Â»Können Sie nicht aufpassen?«, kam es entsetzt von unten. »Sie verschmutzen meine Blumenkästen!«
    Anna zuckte zurück. Wieder der Nachbar unter ihr. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass der Typ geradezu darauf lauerte, sie maßregeln zu können.
    Sie hatte keinen Nerv für einen Streit. Die fehlenden Euro dämpften ihre Kampfeslust.
    Auf dem Tisch lag die Zeitung von heute. Im Stellenmarkt studierte sie die Alternativen: Versicherungen verkaufen, in Kneipen Getränke schleppen oder im Callcenter telefonieren. Ihr Blick glitt noch einmal über die angebotenen Kellnerjobs. Im Keep-out, einem angesagten Laden, war eine Stelle als Kellnerin zu besetzen. Anna griff zum Telefon. Ausnahmsweise hatte sie mal Glück: Schon am folgenden Abend sollte sie sich vorstellen.
    Kaum hatte sie den Hörer aufgelegt, klingelte das Telefon. War es die Bank? Zögernd nahm Anna den Hörer auf und wartete.
    Â»Ich bin wieder da«, sagte eine Männerstimme.
    Anna stutzte. »Wer ist wieder da?«
    Â»Anna? Spreche ich mit Anna?«, fragte der Anrufer. »Hier ist Hans Sommerberg. Dein Onkel Hans. Erinnerst du dich?«
    Hans Sommerberg! Onkel Hans!
    Seit vier Monaten lebe er wieder in der Stadt, redete er schon weiter. »Nicht auf so großem Fuß wie früher. Ich bin bescheiden geworden. Zwangsläufig. Bist du immer noch so hübsch, kleine Anna? Hast du immer noch so schwarze lange Haare?«
    Â»Ja, die habe ich. Was willst du?«, fragte sie.
    Â»Dich sehen«, antwortete Hans Sommerberg. »Und endlich alles regeln. Zur Ruhe kommen.«
    Â»Du und Ruhe?« Annas Stimme war rau geworden. »Bist wohl verdammt alt geworden, wenn du so was sagst.«
    Â»Ja, das lässt sich nicht leugnen. Wie geht es dir?«, wollte er wissen.
    Wut stieg in ihr auf. »Das hat dich doch zwanzig Jahre lang nicht interessiert.«
    Eine Weile blieb es still.
    Â»Weinst du?«, fragte Sommerberg dann leise.
    Â»Wie kommst du auf so einen Quatsch?«, schniefte sie.
    Sie verabredeten sich für den nächsten Tag in einem Café neben dem Dom.
    *
    Leon Fabry hatte eine fixe Idee entwickelt: Er wollte in Annas Nähe eine Wohnung finden oder wenigstens ein Zimmer. Daher trieb er sich einige Stunden in der Gegend herum, in der Anna Stern wohnte. Ein Schild Zu vermieten fand er erwartungsgemäß nicht. Das graue Haus gegenüber Annas Wohnung wäre ideal für seine Zwecke. Er ging zum Eingang und notierte sich die Namen, die neben den Klingeln standen. Nur wenige fand er in den öffentlichen Telefonverzeichnissen wieder.
    Fabry setzte sich zu Hause an den Schreibtisch und telefonierte alle ab. Wenn er jemanden erreichte, nannte er einen falschen Namen und erzählte die herzergreifende Geschichte von einer Verwandten, die er in der Straße zu pflegen habe. Die Angerufenen beeindruckte das überhaupt nicht. Je mehr Absagen er bekam, desto wütender wurde Fabry: Niemand hatte ein Zimmer zu vermieten.
    Er musste eine andere Möglichkeit finden, an Anna Sterns Leben teilzuhaben.
    *
    Hans Sommerberg fieberte dem Treffen mit seiner Nichte entgegen. Erinnerungen an sie überwältigten ihn. Erinnerungen, die er in den letzten zwanzig Jahren verdrängt hatte.
    Da war die Sechsjährige, die ihm mit glänzenden Augen an jene ungewöhnlichen Orte folgte, die er nur ihr zeigte, dann die Zwölfjährige, die unbedingt ein Pferd haben wollte und eines von ihm bekam, und schließlich die Sechzehnjährige, die ihn – nach heftigem Widerstand ihres Vaters – auf eine sechswöchige Reise begleiten durfte.
    In der Reisegruppe war das kecke Mädchen mit den weiblichen Formen einer zwanzigjährigen Frau der Hingucker

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