Schoener Schlaf
hohe Konzentration, die er an den Tag legte. Er freute sich plötzlich, einen so schönen und spannenden Beruf zu haben, sich mit Dingen beschäftigen zu dürfen, die vielen Menschen für immer verschlossen bleiben würden, weil ihr Interesse dafür nicht geweckt worden war. Doch er musste endlich etwas aus sich und dem, was er gelernt hatte, machen. Er trug immerhin einen berühmten Namen, sein Urahn war ein berühmter Komponist und Lehrer gewesen, und dass er Mozart vergiftet haben sollte, glaubte niemand mehr. Plötzlich sehnte sich Angelo nach seinem Cello, hatte den Geruch von Kolophonium in der Nase und ein paar Melodiefetzen der geliebten Bach-Partiten im Ohr. Er würde seine Familie gleich nachher bitten, ihm das Instrument nachzuschicken.
Meyer zwei reckte sich, legte sein Werkzeug weg und sagte: »Eine wunderbare Kollektion. Niederländische Genremalerei in ihrer schönsten Ausprägung. Durchweg gut erhalten. Ich bin positiv überrascht. Kein WurmfraÃ, keine Milben, kein Schimmel und alle aus dem 17.  Jahrhundert. Aber â¦Â«
»Was?«, fragten Leist und Sucher wie aus einem Munde.
Meyer deutete auf ein Gemälde. »Dieses Werk hier ist ungewöhnlich.«
Er nahm es hoch, ging zum Fenster und lieà natürliches Licht darauf fallen.
Leist, Sucher und Salieri tauschten Blicke.
»Dieses hier ist dubios«, murmelte der Restaurator. »Irgendetwas stört mich daran.«
Acht Augen starrten das Bild an. Es zeigte eine Hausfrau, zwei Ammen mit zwei Säuglingen in den Armen und einen schwarz gekleideten Mann vor einem Kamin. Eine normale Interieurszene.
»Was stört Sie?«, wollte Leist wissen. »Es ist nicht das beste Bild in der Sammlung, es könnte von Cornelis de Man stammen oder einem seiner Schüler.«
»Der Blick der Leute. Sie schauen mich an, als wollten sie mir etwas Wichtiges mitteilen. Ein Geheimnis. Gucken Sie mal genau hin!«
Meyer zwei hielt Sucher das Bild direkt vors Gesicht.
»Sie haben recht, Meyer«, nickte der Direktor. »Die Menschen auf diesem Bild brennen vor Ungeduld, etwas auszuplaudern! Sogar die beiden winzigen Kinder.«
»Aber das ist doch nichts Besonderes«, wiegelte Leist ab. »Die Genremalerei ist doch gerade â¦Â«
»Ich habe über das Thema promoviert, Frau Kollegin«, erinnerte Sucher.
Meyer zwei grinste. »Schauen Sie bitte mal auf den Boden«, forderte er Sucher dann auf.
»Der damals übliche FuÃboden«, murmelte Leist ziemlich irritiert. »Schwarz-weiÃe Kacheln.«
»Sehen Sie sich das Kind an. Dieses hier!« Sucher deutete auf den Säugling im Arm der Amme, die vor dem Kamin saÃ.
»Ja, und?«
»Das Ãrmchen! Wohin zeigt der Finger der Kindes?«
»Auf den Boden!«, stellte Salieri fest. »Und wenn man der Linie folgt, dann â¦Â«
»Richtig!«, rief Meyer aus.
»Das Baby deutet auf den Boden. Und da liegt etwas!«, fuhr Salieri fort.
Leist entriss Meyer die Lupe und hielt sie über die bezeichnete Stelle
»Es sieht aus wie ein Brief«, stimmte sie zu. »Ein zerknüllter Brief.«
»Ein geheimnisvoller Hinweis«, sagte Sucher mit leuchtenden Augen. »Dieses Bild muss besonders genau untersucht werden.«
»Warum das denn?« Langsam war Leist genervt. »Nur weil ein Papier auf dem Boden liegt?«
»Es gibt geheime Symbolik in Gemälden, künstlerische Metaphern«, erklärte Sucher. »Das ist jedem Kunsthistoriker bekannt, dessen Fachgebiet die Malerei des Barock ist. Das ist Ihnen wohl entfallen, Frau Kollegin.«
»Das mag sein. Und ein Brief auf dem Boden soll ein solches Zeichen sein?«, zickte sie. »Wofür denn blo�«
»Für eine wichtige Mitteilung, eine Enthüllung.«
»Aber der Brief ist zerknüllt«, entgegnete Leist. »Bedeutet das auch was?«
»Vielleicht, dass jemand die Enthüllung verhindern, das Geheimnis nicht lüften will?«, sinnierte Sucher.
»Ich werde mich um dieses Gemälde kümmern. Mit vollem Besteck«, kündigte Meyer zwei an.
»Dazu brauchen wir die Erlaubnis des Besitzers«, stellte Sucher klar. »Ich werde ihn kontaktieren.«
*
Am späten Morgen klopfte Sommerberg sachte an Annas Tür. Sie hatte in seiner kleinen Wohnung übernachtet, denn sie hatten am Vorabend zwei Flaschen Sekt geleert und in alten Zeiten geschwelgt.
Leise öffnete er die
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