Schoener Schlaf
Schöne Stücke. Ich hab nur die Noten nicht da. Aber ich habe noch einiges in Erinnerung.«
»Wennâs nicht ganz Bach wird, dann improvisier«, schlug sie vor. »Das macht doch den wahren Künstler aus.«
»Okay. Also â dann los.«
Angelo zog das Instrument zwischen die Schenkel und stimmte das Cello. Dann senkte er den Kopf, konzentrierte sich und begann mit einigen Tonleitern â zögerlich, als müsse er sich selbst erst wieder an die Klänge gewöhnen, vielleicht auch, um zu prüfen, ob er den Bogen mit zu viel Kolophonium bearbeitet hatte. Er wählte das Prélude aus der Sechsten, ein schwertöniges kleines Stück, das seinen Gemütszustand widerspiegelte.
Anna beobachtete, wie seine Hände über das Griffbrett tanzten, die Bewegungen seines Oberkörpers, die angespannte Mimik, spürte, dass alles um ihn herum zu verschwinden schien. Ein Schauer überkam sie bei den ganz tiefen Tönen, obwohl sie ein wenig kratzig klangen.
»Hat es dir gefallen?«, fragte Angelo nach den letzten Takten.
»Es war wunderschön«, sagte sie â ein wenig heiser. »Aber so traurig, so unfassbar traurig.«
»Traurig?«, wunderte er sich. »Ja, stimmt. Das ist ein melancholisches Stück.«
»Bist du denn traurig?«, wollte sie wissen.
»Ja. Es ist etwas zu Ende. Ich kann hier nicht mehr bleiben«, murmelte Angelo. Er stand auf, stellte das Cello vorsichtig gegen die Wand und setzte sich neben Anna aufs Bett.
»Was heiÃt das?«
»Ich werde Becca verlassen.«
»Bist du dir sicher?«
»Eigentlich habe ich sie schon verlassen.«
»Und sie? Weià sie es schon?«
»Ich glaube, sie ahnt, dass es zu Ende ist. Aber ich werde es ihr trotzdem sagen müssen.«
»Dann bewaffne dich«, riet Anna, »sonst überlebst du das nicht.«
*
Fabry besaà mehrere Hundert Hektar Grundbesitz, einen Bauernhof mit Wald und ein Mietshaus in einer zehn Kilometer entfernten GroÃstadt. Der Bauernhof war verpachtet, die Wohnungen des Hauses, das mitten in der City stand, vermietet. Heidi Busch saà im Büro, sah sich die Häuser und Grundstücke auf Google Earth an und glich sie mit den Orten ab, die bei den Morden eine Rolle spielten.
Sie begann mit der Wiese, auf der Maja Schneider tot gefunden worden war, überprüfte dann die Stelle am Fluss, an der der Wagen der toten Kellnerin versenkt worden war, die Gegend um die Freilichtbühne und die Wohnungen der Mordopfer. Keine Ãberschneidungen, keine Gemeinsamkeiten. Und kein Tatort war in der Nähe einer der Immobilien Fabrys.
Das Telefon klingelte.
»Hier Polizeiwache Nord. Wir können Hauptkommissar Kant nicht erreichen«, sagte eine Männerstimme. »Gehören Sie zu seinem Team?«
Heidi Busch bejahte.
»Wir haben in einem Wald einen ausgebrannten Sportwagen gefunden«, teilte der Polizist mit. »Es ist der Wagen, den Sie in der Fahndung haben.« Er beschrieb ihr die Fundstelle.
»Wir kommen sofort«, sagte sie.
Kant hatte sein Mobiltelefon abgestellt, also fuhr sie bei ihm zu Hause vorbei. Er war tatsächlich da, reagierte aber unwirsch. Heidi Busch roch Alkohol.
»Ich kann fahren«, erbot sie sich.
Kant schaute sie an, entdeckte aber nur Verständnis in ihrem Blick und keine Kritik.
»Danke«, sagte er. »Ich dusche kalt und bin in zehn Minuten fertig. Wartest du in der Küche?«
Das Du verblüffte, aber erfreute sie auch. Sie setzte sich an den Küchentisch. Auf dem Tischtuch lagen Krümel. Ungespültes Geschirr stand auf der Ablage und daneben stapelten sich die Zeitungen der letzten Tage.
Sie hörte Wasser rauschen und schon stand er vor ihr mit feuchtem Haar, in Jeans und Lederjacke.
»Danke«, sagte er. »Ist es in Ordnung, wenn wir uns duzen?«
»Ja, ist es. Das war schon lange fällig. Lebst du allein?«
»Ja, ich bin geschieden. Sieht man das?«
Heidi Busch lachte. »Nur an dem Geschirr. Dein Schlafzimmer hast du mir ja nicht gezeigt.«
»Das wäre kein schöner Anblick. Können wir los?«
Das Skelett von Belinda Storks rasantem Sportflitzer befand sich in einer lichten Stelle im Wald. Die Polizei hatte den Ort mit Flatterband abgesperrt, um Schaulustige fernzuhalten. Schon trieben sich einige Reporter mit Kameras im Wald herum und versuchten, einen unverstellten Blick auf den Wagen zu bekommen.
»Da hat wohl mal wieder
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