Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Lösung für die optimale Konstruktion des Dammes vor. Die Experten waren der Ansicht, dass diese von einem nicht ausreichend ausgebildeten Autor stammende Formel unmöglich korrekt sein könne.
In einer Veröffentlichung des Jahres 1965 zeigte ich, dass Hurst zwar keine Ahnung hatte, was er da entdeckt hatte, seine Formel gleichwohl tatsächlich Bestand hatte – und zu unerwartet weitreichenden Konsequenzen führte. Für einen Wissenschaftler heißt das, dass die Spanne der Abhängigkeit in den Abflussmengen des Nils infinit ist, während sie für den Rhein finit und sogar kurz ist. Was für eine Freude, die Bibel als Referenz für (reine) Wissenschaft zu zitieren! Aber spielte all das auch in der Praxis eine Rolle? Ich habe gehört, dass die Ingenieure des Assuan-Damms, anstatt Hurst zu folgen, sich an den internationalen politischen Zwängen des Kalten Kriegs orientiert haben.
Die Untersuchung von Flüssen führte mich zur Unterscheidung zwischen zwei Arten von Fraktalen: den selbstähnlichen (Formen, die wie Küstenlinien in jede Richtung mit demselben Betrag skalieren) und den selbstaffinen (Formen, die wie Turbulenzen in verschiedenen Richtungen mit unterschiedlichen Beträgen skalieren).
Meine Erklärung von Hursts Formel war ein weiterer Kepler-Moment. Nachdem sie veröffentlicht war, verfolgte ich die mathematischen Aspekte zusammen mit dem Mathematiker John W. Van Ness. Anschließend verfasste ich eine lange Reihe von Aufsätzen mit dem Hydrologen James R. Wallis. IBM Research rühmt sich, uns beide zusammengebracht zu haben. Es scheint, als würden in China viele große Staudämme gebaut. Ich frage mich, ob sie nach Hurst-Mandelbrot konstruiert werden.
Verteilung von Galaxien im Weltall
Dass die Milchstraße eines von vielen ähnlichen »Objekten« am Himmel ist, wurde erst vor erstaunlich kurzer Zeit erkannt: Die Einsicht stammt aus dem Jahrzehnt, in dem ich geboren bin. Das gilt auch für die Galaxien selbst. Doch so unglaublich es erscheinen mag – wahr ist auch, dass Konzepte der Galaxie und der Galaxienhaufen wiederholt erfunden und wieder vergessen worden sind, und das lange vor der Zeit, bevor irgendwelche Belege verfügbar waren. Auch die nahe liegende Annahme, dass ferne leuchtende Objekte gleichförmig im Raum verteilt sind, wurde analysiert und belegt. Das führte zu dem befremdlichen Olbers’schen Paradoxon, demzufolge der Himmel zugleich gleichmäßig und unendlich hell sein müsse. Eine Möglichkeit, dieses Paradoxon zu vermeiden, wurde von dem Science-Fiction-Autor Edmund Fournier d’Albe vorgeschlagen und von dem Astronomen Carl Charlier weiterentwickelt. Doch in Astronomenkreisen wurde die Lösung nie besonders ernst genommen, vor allem weil sie erfordert, dass das Universum als wohldefinierter »Haufen« gesehen wird, und weil die Relativitätstheorie eine wohldefinierte Gesamt-Massendichte verlangt. Irgendwie hörte ich von dieser Kuriosität, erkannte Fournier d’Albes Modell sofort als primitives Fraktal und schlug ein weniger primitives Modell und dann noch ein zweites vor.
Der Titel meines ersten Aufsatzes über Galaxienhaufen brachte zum Ausdruck, dass Clusterbildung eine Illusion sei. Schlichter ausgedrückt geht es darum, dass Daten vom menschlichen Auge spontan in dieser Weise gedeutet werden, obwohl es sich nicht unbedingt um eine Eigenschaft des vorliegenden Problems handelt. »Sagen Sie mir, ob ich richtig verstanden habe, was Sie uns mitteilen. Wir Astronomen halten es für sicher, dass Galaxienhaufen dort draußen reale Gebilde sind«, meinte der Mann und zeigte mit dem Finger zum Himmel (na schön, zur Decke). »Was Sie vorschlagen, könnte darauf hinauslaufen, dass diese Cluster genauso gut hier sein könnten.« Er zeigte auf seine Schläfe. »Ist das richtig?«
Etwa um 1990 war ich in einem Tiroler Hotel als Gastgeber einer Konferenz zur Struktur des Universums in großem Maßstab. Der Fragesteller war mir unbekannt, und ich habe ihn nie wiedergesehen. Die Konferenz tat mir sehr gut. Nach langer Zeit hatte ein entscheidender Aspekt meines fraktalen Modells der galaktischen Intermittenz – ich hatte es in jedem meiner Essays zum Thema Fraktale geduldig erörtert – eine halbwegs vernünftige Zuhörerschaft gefunden.
Dabei hätte das Publikum mich als Störenfried verfluchen können: Ich brachte neue Werkzeuge in einen Winkel der Astronomie, der bislang friedlich gewesen war; ich säte Zweifel und schuf neue Probleme. Üblicherweise nehmen Beobachter das, was
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