Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
fast völlig an Ausrüstung und auch an Kenntnissen bei den Studenten und in der Fakultät. Und weil der PC noch nicht allgemein verbreitet war, gingen diejenigen, die unbedingt einen Computer benötigten, anderswo hin oder verfügten über gut gehütete private Möglichkeiten.
Nachdem ich den traurigen Zustand des Computerwesens in Harvard so offen angesprochen hatte, war ich enttäuscht, dass gute Nachrichten ausblieben, bis es für mich zu spät war. Wie aus dem Nichts informierte mich dann David Mumford darüber, dass die National Science Foundation auf kritische Äußerungen wie die meine reagiert habe und an der University of Minnesota in Minneapolis das interuniversitäre Geometry Center einrichten würde.
Weitreichendes Wunder, Komplexität und Mysterium
Die Mandelbrot-Menge spricht drei sehr unterschiedliche Gruppen an, denen ich angehöre: diejenigen, die sich für Bilder, Komplexität und reine Mathematik interessieren.
Bilder
Die Bilder, die man erhält, wenn man jene kleine quadratische Funktion – ausgehend von z = 0 – sehr oft wiederholt, sind überwältigend kompliziert. Natürlich könnte man die Formel nicht von Hand wiederholen, sondern nur mit einem Computer. Die frühesten und »primitivsten« dieser Bilder waren in Schwarz und Weiß gehalten – oder genauer in dunkleren und weißlichen Grautönen. Die Konstanten sind keine gewöhnlichen (reellen) Zahlen, die jeweils einem Punkt auf der Geraden zugeordnet sind, sondern komplexe Zahlen, die einem Punkt in der Ebene zugeordnet sind.
Diese eine kleine Formel erzeugt die Mandelbrot-Menge und eine Vielfalt erstaunlicher Formen, die anscheinend nicht zusammengehören. In Hunderten von Büchern und im Web finden sich mittlerweile Millionen Beispiele.
Wie steht es mit den Farben? Die definierende Formel ergibt eine ganze Zahl: 1, 2, 3 und so weiter. Um unverständlichen Wirrwarr auszulichten, ersetzte ich Bereiche von Zahlen durch Schattierungen von Grau. Dann kamen die Farben auf. Sie wurden von den Programmierern willkürlich ausgewählt und zeigen deren guten oder schlechten Geschmack.
Komplexität
Als ich anfing, jene Vorschrift zu studieren, die mit dem Wort »wiederhole« endet, kam ich ohne große Begründung zu dem Schluss, dass aus einer so simplen Funktion unmöglich etwas besonders Interessantes hervorgehen könne.
Um diese Zeit hatten Andrei Kolgomorow und mein IBM-Kollege Gregory Chaitin unabhängig voneinander versucht, die Komplexität einer mathematischen Struktur zu messen. Als Maßstab schlugen sie die Länge des kürzesten Satzes vor, der diese Struktur umsetzen konnte. Wo findet sich nach diesem Kriterium die Mandelbrot-Menge? Ist sie die komplexeste Menge der gesamten Mathematik, wie manche behauptet haben, oder ist sie so simpel wie die Formel, durch die sie generiert wird? Ich konnte das nicht entscheiden und schloss daraus, dass die Frage auf andere Weise formuliert werden muss. Doch angesichts des starken, diskontinuierlichen Kontrasts zwischen einer Eingabe und einer Ausgabe, der heute fast unmittelbar mit der Mandelbrot-Menge in Verbindung gebracht wird, wird sie von vielen als extrem – wundersam! – komplex angesehen. Ich halte es für ein außerordentliches Privileg, dass mein unstetes Leben mich dazu geführt hat, sie zu entdecken.
Reine Mathematik
Hatte vor mir irgendjemand »jene Menge« untersucht? Nein, niemand. Nachträglich hat man außerordentliche Anstrengungen unternommen, um Vorgänger zu finden. Eine Behauptung wurde mit einer unmotivierten Zeichnung unterlegt, die zu grob war, als dass sie etwas hätte zeigen können, aber an einen Aufsatz angehängt worden war – ohne Kommentar. Außerdem arbeiteten sich einige durch einen von Fatous langen Aufsätzen und fanden eine Erwähnung »jener Menge« unter verwandten Mengen, allerdings ohne weitere Erörterung oder Vorwegnahme irgendeines Resultats.
Zu meiner Überraschung und tiefen Freude war mein ursprünglicher Aufsatz zu diesem Gegenstand ein absoluter Erstling. Der Titel lautet »Fractal Aspects of the Iteration of [Quadratic Maps] for Complex [Parameter and Variable]«. Er erschien Ende der 1980er-Jahre in den Annals of the New York Academy of Sciences . Ob die Annals der angemessenste Ort für die Veröffentlichung eines bahnbrechenden Aufsatzes waren, kann wohl bezweifelt werden. Aber ich war dabei, zu einer Vortragstournee aufzubrechen, und benötigte dringend einen gedruckten Text. Also ersetzte ich ein erklärendes Papier, das ich an
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