Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Schwungvolles.«
Ich hätte einigen schon überladenen Wörtern (man denke an »Katastrophe« oder »Chaos«) eine neue Bedeutung geben können. Doch ich beschloss, ein neues Wort zu prägen – eines, das nicht automatisch die Vergangenheit heraufbeschwor. Ich wollte die Vorstellung eines zerbrochenen Felsens vermitteln, einer unregelmäßigen und zerklüfteten Form. Der Lateinunterricht meiner Jugend hatte mich gelehrt, dass die Sprache sehr konkret ist. Das Latein-Wörterbuch meines Sohnes bestätigte, dass fractus »gebrochen« oder »zerschmettert« bedeutet. Ausgehend von diesem Adjektiv fiel mir das Wort »fraktal« ein – und so erhielt mein Buch in der französischen Ausgabe den Titel Les objets fractals .
Ohne eine gewisse Aussicht auf Erfolg wird kein Buch veröffentlicht, doch für den französischen Probelauf konnten die Erfolgschancen unmöglich vorhergesagt werden. Flammarion hatte sich nur deshalb bereit erklärt, das Risiko der Veröffentlichung auf sich zu nehmen, weil ich dem Chef von einem gemeinsamen Freund vorgestellt worden war. Anfangs lief der Verkauf nur schleppend, zog aber nach einer Weile deutlich an, und die vierte überarbeitete Auflage ist heute als beliebtes Taschenbuch auf dem Markt. Viele Jahre nach der ersten Veröffentlichung vertrauten mir mehrere französische Mathematiker an, dass das Buch sie während des Studiums stark beeinflusst habe. Doch 1975 lag dieses leuchtende Schicksal noch weit in der vagen Zukunft.
Mein schmaler Band wurde in eine illustre alte Reihe aufgenommen, in der einmal Henri Poincaré, Jean Perrin und Louis de Broglie veröffentlicht worden waren. 1975 war die Reihe kaum mehr lebendig, aber anscheinend ist sie durch mein Buch wiederbelebt worden.
Als ich Szolem ein Exemplar überreichte, gratulierte er mir zunächst sehr nett. Dann blätterte er sich durch das Buch, und als er sah, dass es kein Mathematikbuch war, fragte er ein wenig gereizt: »Was ist das denn für eine Art Buch? Für wen hast du es geschrieben?« Meine Antwort: »Ich weiß nicht, hoffe aber, dass es für seine eigene Leserschaft sorgt, die vielleicht sogar recht groß wird.« Mein Cousin Jacques, der dabei war, fragte seinen Vater amüsiert: »Was dich angeht: Wenn du ein Buch schreibst, weißt du immer genau, wer es lesen wird, oder?« Szolem erwiderte: »Ja, es gibt ungefähr 15 Menschen auf der Welt, die alles lesen, was ich schreibe. Das reicht. Ich finde diese Situation sehr beruhigend.«
1982 erscheint
Die fraktale Geometrie der Natur
Als ich 1979 nach Harvard ging, hatte ich ein Magnetband mit dem dabei, was ich für die fast fertige dritte Version des Buchs hielt. Weil das Jahr sich aber als ein Annus mirabilis herausstellte, wurde die schattenhafte dritte Version immer wieder ergänzt – die Mandelbrot-Menge wurde ebenso aufgenommen wie die ersten Aufsätze für die Mainstream-Physik. Außerdem wurde sie ständig umgebaut – eine Reaktion auf das, was ich aus Anlass jenes ersten Seminars über Fraktale im Jahr 1980 lernte. Am Ende begann ich fast von vorn, und der stark erweiterte Text ging mir glatt von der Hand. Es gelang mir, die Verlagsleitung von Freeman’s zu überreden, trotz eines Farbteils von 16 Seiten (zu einer Zeit, in der Farbseiten noch teuer waren) einen niedrigen Ladenpreis für das Buch festzulegen, weil ich das als gute Investition ansah. Das war es auch. Wie befürchtet, kam der Verkauf des Buchs spät in Gang, aber der Farbteil war verfügbar, und ich nahm ihn zu Konferenzen mit.
Erste Fraktal-Tagung in Courchevel
Als ich im Juli 1982 noch darauf wartete, dass Rezensionsexemplare von The fractal geometry of nature verschickt würden, hatte ich das Vergnügen, den Inhalt des Buchs Vertretern der wissenschaftlichen Welt vorzustellen und ihre Reaktion zu beobachten. Anlass war die erste je abgehaltene Konferenz über Fraktale. Der Tagungsort war Courchevel, ein exklusiver Skiort in den französischen Alpen. Die Fahnen von The fractal geometry of nature hatten mich in Paris erreicht, wo ich bei IBM Stunden damit zubrachte, für jeden Teilnehmer eine Fotokopie herzustellen. Von Paris aus schleppte ich tonnenschwere Koffer mit mir. Das Publikum, etwa 50 Leute, war sehr heterogen und bildete keine festumrissene Gruppe, da Fraktale noch keinerlei Anhängerschaft hatten.
Bei dieser Tagung – es war die erste, die ich selbst organisierte – konnte mir niemand wirklich helfen. Fast jeder Autor, der etwas zu Fraktalen veröffentlicht hatte, war als Redner
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