Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
eingeladen, und IBM-Dependancen verschiedener europäischer Länder schickten ein paar Leute, deren Wohlwollen wertvoll erschien. Die Hälfte der Plätze auf der Vortragsliste blieb leer, und in der Hoffnung, dass jemand aus dem Publikum mich ersetzen würde, setzte ich meinen Namen auf jede Position. Wie durch ein Wunder war IBM Europe durch die vor und nach meiner Veranstaltung organisierten Sommerseminare zu handfesteren Themen dazu veranlasst worden, mir einen nach damaligen Maßstäben ausreichend großen Computer zur Verfügung zu stellen. Außerdem waren meine IBM-Kollegen und engen Freunde Richard Voss und Alan Norton angerückt.
Da es keinen hauptamtlichen Organisator gab, schrieb ich selbst zumindest ein paar Erinnerungsbriefe und gab Hinweise zur Anreise. Weil keine der heimatlichen Institutionen der Teilnehmer sich einen derartigen Computer samt fähiger Helfer leisten konnte, war der Computerraum bis weit nach Mitternacht voller Leute.
Skihotels schließen im Sommer oder verlangen wenig Geld, und die Leitung hatte versprochen, dass das Hotel leer sein würde. Doch als ich ein paar Tage vor der Konferenz ankam, entschuldigte sich der Manager wortreich. Das Europäische Jugendorchester habe ihn gebeten, ihm die leere Hälfte des Hotels zu vermieten, und er habe keine andere Wahl gehabt als zuzustimmen. Er versicherte mir, die Musiker seien gute Nachbarn: Sie würden so hart arbeiten, dass sie nachts sehr, sehr ruhig sein dürften. Abgesehen davon verspreche das Orchester, wir dürften seiner Generalprobe beiwohnen. Außerdem sollte ich seine Dirigenten kennenlernen: Georg Solti (1912–1997), den Leiter des Chicago Symphony Orchestra (der allerdings nicht viel Zeit mit den Tagungsteilnehmern verbringen konnte, weil er die Höhe nicht vertrug), und Claudio Abbado, den künftigen Direktor der Berliner Philharmonie. Illustre Vergangenheit und glänzende Zukunft – gar nicht schlecht! Als ich am Sonntagabend die Konferenz eröffnete, konnte ich damit angeben, dass die übliche musikalische Zerstreuung freundlicherweise live von meinen Freunden, den Maestri Solti und Abbado, geboten werden würde. Natürlich glaubte mir kein Mensch, doch beim Konzert wurde ihnen klar, dass ich ihnen keinen Bären aufgebunden hatte.
Ich führte während der ganzen Konferenz den Vorsitz und lenkte die Diskussion mit starker Hand. Und obwohl ich noch andere Redner gefunden hatte, hielt ich ein volles Viertel der Vorträge selbst. Ich war davon ausgegangen, dass viele Teilnehmer am Freitagnachmittag aufgeben würden, weshalb ich den letzten Vormittagsvortrag für mich reservierte und die anschließende Sitzung einem Freund anvertraute, dem es nichts ausmachte, vor einem leeren Saal zu sprechen. Doch zu unserer Freude war der Raum bis ganz zum Schluss voll besetzt. Noch überraschender war, dass alle zu allen Vorträgen kamen. Die Mathematiker waren erstaunt, dass das, was sie ganz gewiss für exotisches Zeug gehalten hatten, in Wahrheit ein Teil der Natur war. Die Physiker waren erstaunt, dass viele komplizierte Probleme in einfacher und transparenter Weise lösbar waren.
An diesem Tag waren alle Kepler-Momente meines Lebens zusammengekommen.
Konferenzen über Fraktale und Geburtstagsfeiern
Der ersten Tagung über Fraktale folgten viele weitere. Sie waren von Mal zu Mal stärker spezialisiert. Damit hatte ich – wie andere Wissenschaftler – gerechnet. Ich erinnere mich an eine Konferenz in Triest, wo ich zusammen mit dem Gastgeber der Tagung und damaligen Vorsitzenden des Nobelkomitees für Physik, Stig Lundquist, von einem Journalisten interviewt wurde. Der Journalist war erstaunt zu hören, dass der Erfolg der Fraktale von Menschen abhing, die mit den Grundideen vertraut waren und sie in verschiedene Richtungen weiter vorantrieben, was weniger Tagungen zu Fraktalen im Allgemeinen zur Folge hatte.
Mehrere dieser Tagungen fielen mit Geburtstagsfeiern zusammen. Zu meinem 65. Geburtstag im Jahr 1989 organisierten meine Physikerfreunde Amnon Aharony und Jens Feder mit Unterstützung von IBM France eine wunderbare Konferenz zum Thema »Fraktale in der Physik«. Abgehalten wurde sie im Hotel »Mas d’Artigny« in Saint-Paul de Vence hoch in den Hügeln über der Riviera.
Nach der Tagung blieben Aliette und ich noch für einen Tag, damit die tiefe Freude abklingen konnte, und entschlossen uns dann, immer noch benommen, zu einem kurzen Urlaub. Wir fuhren zu dem in der Nähe liegenden Ort, wo ich 1944 Pferdeknecht gewesen war,
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