Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
jener Akademie vorgetragen hatte, durch die neuere Arbeit, und nahm zu allen Vorträgen unterwegs Kopien der Ausdrucke mit. Dass das letztlich funktioniert hat, zeigt sich daran, dass es der Aufsatz ist, der zu »jener Menge« führte, die nach mir benannt ist, doch anfangs – als es darauf ankam – wurde er kaum zitiert.
Ironischerweise kam meine bekannteste Entdeckung nicht dadurch zustande, dass bei IBM außerordentlich gute Bilder verfügbar gewesen wären. Sie entstand in Harvard, wo ich mit komplizierten Forschungsbedingungen innerhalb eines sehr unzulänglichen Systems zurechtkommen musste. Die Bilder, die wir in der ersten Nacht sahen, schienen unverständlich; in der zweiten Nacht wurden sie kohärenter. Innerhalb weniger Tage waren sie völlig vertraut geworden, als hätte man sie immer schon gesehen. Unglaublich!
© Eriko Hironaka
Wie lässt sich die Bedeutung der Mandelbrot-Menge mit jener der fraktalen Finanzen vergleichen, die in einer eng umrissenen Gemeinschaft von »Praktikern« höchst einflussreich ist? All meine diversen »Kinder des Geistes« sind mir gleichermaßen teuer; sie können und sollten nicht gegeneinander abgewogen werden. Was führt aber in diesem Fall dazu, dass ich 1979/80 als mein Annus mirabilis sehe? Meine Arbeit 1962/63 ergab ein wunderbares Jahr, doch es war das Jahr eines einzigen Wunders gewesen, das sich im Lauf der Zeit entwickelt hatte, während das Wunder von 1979/80 wie ein Blitz aufleuchtete – wie sich das für Wunder gehört.
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Ein Wort und ein Buch: »Fraktal« und
Die fraktale Geometrie der Natur
Die Macht eines Wortes, das zur rechten Zeit und im passenden Kontext erscheint, sollte man nie unterschätzen, besonders wenn es – was wir nicht vergessen wollen – von den richtigen Bildern begleitet wird. Das Wort »fraktal« hat sich wie ein Buschfeuer in so viele Köpfe, Bücher und Wörterbücher ausgebreitet – es erscheint fast unglaublich, dass es erst 1975 geprägt wurde. Über die dahinterstehende Idee war seit unvordenklichen Zeiten immer wieder mal geschrieben worden, und Skeptiker dürften sich fragen, ob es wirklich notwendig gewesen ist, zur Beschreibung meiner Arbeit ein Wort zu erfinden.
Wann kam dieses Wort »fraktal« in Gebrauch? Ich musste es prägen, als die französische Ausgabe meines Buchs verfasst wurde – dass ein Wort benötigt wurde, hatte sich zur Überzeugung entwickelt, und ich war mittlerweile zuversichtlich, dass es einschlagen würde. Dabei folgte ich nicht dem Beispiel abergläubischer Eltern, die ihrem Kind erst nach der Geburt einen Namen geben. Ich überlegte vielmehr schon im Vorhinein, dass »Fraktalist« sich gut anhören würde, falls es sich als notwendig erweisen sollte, mir eine Bezeichnung mitzugeben – und den Nachfolgern, die ich zu inspirieren hoffte.
Meine wissenschaftlichen Schriften auf allen Gebieten sind wie mein Sprechen in allen Sprachen durch einen starken fremden Akzent gekennzeichnet. Wegen dieser Abweichung wurden mehrere meiner Aufsätze abgelehnt, und andere Entwürfe schienen es nicht wert, fertiggestellt zu werden, sondern wurden in einer dunklen Ecke meines privaten Archivs abgeheftet.
Deshalb sammelte sich eine Halde unvollendeter Entwürfe an, die schwer in den Griff zu bekommen war, bis auf einmal mein Freund Mark Kac einen unerwarteten, aber wahrhaft exzellenten Rat äußerte. »Die meisten aktiven jungen Wissenschaftler wissen, dass sie Artikel veröffentlichen müssen, wenn sie nicht untergehen wollen. Doch dein Fall liegt anders. Solange du diese Lawine einzelner Artikel nicht aufhältst und ein Buch schreibst, werde ich dich untergehen lassen.« Für diesen »Befehl« bin ich Mark überaus dankbar.
Ich löste mein Kommunikationsdilemma, indem ich eine erhebliche Menge von Originalarbeiten in drei Büchern veröffentlichte. Sie entstanden als aufeinanderfolgende Versionen eines breit angelegten »Essays« in Kombination mit einer fraktalen Grundsatzerklärung und einer Fallsammlung.
Das »Vorausexemplar« von 1975:
Les objets fractals
Als mein Buch, das beim Verlag Flammarion in Paris erscheinen sollte, immer noch den vorläufigen Titel »Objets concrets de dimension fractionellenaire« hatte, bekam man es dort mit der Angst zu tun; man verlangte einen zündenderen. Freunde argumentierten in der gleichen Richtung: »Du hast über eine absolut neue Idee geschrieben. Du bist berechtigt – eigentlich sogar verpflichtet –, ihr den von dir gewünschten Namen zu geben. Nimm etwas
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