Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Förderer John von Neumann versuchte seine Kollegen für die Gleichungen zur Wettervorhersage zu interessieren. Nur eine Handvoll Gleichungen – die schon im 18.Jahrhundert bekannt gewesen waren – besaßen Lösungen, die durch explizite mathematische Formeln gegeben waren. In allen anderen Fällen, wozu auch jene für die Wetteruntersuchungen von Neumanns gehörten, konnte man von solchen Lösungen nicht einmal träumen. Für Johnny lief das darauf hinaus, dass man anhand von numerischen Simulationen mithilfe des Computers nach Antworten suchen musste. Doch Johnny starb, ehe er jemanden überzeugt hatte.
Eine überwältigende Mehrheit der Mathematiker jener Zeit erschauerte bei dem bloßen Gedanken, eine Maschine könne die makellose »Reinheit« ihres Fachs schänden und die Vergangenheit vorsätzlich auslöschen. Anlässlich meiner Arbeit über Kurse verstand ich sofort, was der Computer vermochte, obwohl ich nie wirklich lernte, einen zu programmieren. Als ich in Harvard war, äußerte ein Kollege sein Erstaunen darüber, dass ein Computer einem Doktoranden dabei helfen konnte, ein schwieriges mathematisches Problem in den Griff zu bekommen. Kein Mathematiker erwartete in irgendeiner Weise, dass ein großes altes Problem durch den Computer reanimiert werden könnte. Eine Wiederbelebung geschieht nicht aus sich heraus – das war nie so. In diesem Fall sollte sie aufgrund des zufälligen Zusammentreffens bestimmter Ereignisse meines Lebens stattfinden.
Eines davon war ein langer Nachruf auf Henri Poincaré, verfasst von Jacques Hadamard, dem Vorgänger und Förderer Szolems am Collège de France. Nach Hadamards Tod stellte Szolem dessen gesammelte Werke zusammen und gab mir eine Ausgabe davon. Der Nachruf befasste sich ausführlich mit einem trocken klingenden mathematischen Gegenstand, den sogenannten Grenzmengen Klein’scher Gruppen, die ich aus Büchern für fortgeschrittene Schüler höherer Schulen kannte. Das erinnerte mich an die Zeit, in der Szolem mich überredet hatte, Julia und Fatou wiederzubeleben, und mein Interesse flammte erneut auf. Da ich für die Ferien einen Mathestudenten von Princeton als »Gastassistenten« zur Verfügung hatte, suchte und entwarf ich eine Konstruktion Klein’scher Grenzmengen.
Ein Wendepunkt in der Mathematik
Diese Geschichte hängt von einer sehr einfachen Formel ab – es ist die einzige, die in diesen Erinnerungen zugelassen ist. »Zugelassen« heißt nicht, dass sie verstanden, geschätzt oder als Handlungsanweisung gesehen werden muss. Es genügt, wenn man erkennt, dass die Formel sehr kurz ist:
Man wähle eine Konstante c und lege den Ausgangspunkt z an den Anfang der Ebene; man ersetze z durch z mal z, addiere die Konstante c und wiederhole das.
In mathematischer Notierung würde sich diese Anweisung auf drei Buchstaben und drei Symbole verkürzen. Im Mathe-Sprech handelt es sich um eine quadratische Funktion, was ungefähr einer hergebrachten Kurve namens Parabel entspricht. In der Mandelbrot-Menge bezeichnet z jedoch einen Punkt in der Ebene, und die Formel drückt aus, wie die Position eines Punktes zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Position zum folgenden Zeitpunkt definiert. Im Mathe-Sprech legt diese Formel die absolut einfachste Form von Dynamik in diskreten Zeitabschnitten fest – eine Form, die sich quadratische Funktion nennt. Bitte, die Formel ist tatsächlich lächerlich simpel. Warum sollte das von Bedeutung sein?
© H.O. Peitgen
Diese atemberaubend einfache mathematische Formel ist eine alte einzeilige Vorschrift mit einer Addition und einer Multiplikation. Sie wird dann iteriert – das heißt, endlos wiederholt –, wodurch eine zunehmend verfeinerte Gestalt definiert wird, die mithilfe eines sehr einfachen Computerprogramms näherungsweise zu berechnen ist.
Es überraschte weithin, dass diese Gestalt sowohl überwältigend detailreich als auch überaus fein ist und zudem einen allgemein zugänglichen und fruchtbaren Boden für weitere Erkundung darstellt: für brahmanische Mathematiker ebenso wie für Studenten und Menschen niederer irdischer Kasten, für Künstler wie für Leute, die nur neugierig sind. Die von so vielen geschätzte Schönheit zeigte sich völlig unerwartet und brachte unzählige Herausforderungen mit sich, die von der Mathematik und der Philosophie noch nicht ausgeschöpft worden sind. Der Zoom an einem Grenzpunkt dieser Menge fasziniert sofort und ohne Weiteres alle Menschen, alt und jung.
Selbstredend habe ich
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