Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
den Entwurf meines Aufsatzes. Er staunte und merkte dann an, die von mir benutzten Werkzeuge seien alt, äußerst elementar und Poincaré, Fricke und Klein sicherlich sehr vertraut gewesen – hervorragenden Leuten, die die Frage 100 Jahre zuvor aufgeworfen hatten. Rechts ist die Abbildung eines selbst-inversen Fraktals zu sehen; es hat mich zu den allgemeineren Klein’schen Grenzmengen geführt.
David fragte sich laut, was mich zum Erfolg geführt habe, wo doch so viele andere gescheitert seien. Meine Antwort war – wieder einmal – ein Destillat der Geschichte meines wissenschaftlichen Lebens: Wenn ich etwas suche, schaue, schaue und schaue ich und spiele mit Bildern herum. Ein Blick auf ein Bild ist wie das Ablesen eines wissenschaftlichen Instruments. Ein Ablesen ist nie genug.
© Alan Norton
© Benoît B. Mandelbrot Archives
Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Klein’sche Gruppen in einer Art Warteschleife. Herausragende Gestalten – darunter Lars Ahlfors (1907–1996) in Harvard und Lipman Bers (1914–1993) an der Columbia University – hatten große Fortschritte gemacht. Doch es herrschte der Eindruck vor, ihr Vorgehen sei schwer nachzuvollziehen, und kaum jemand interessierte sich für meinen Algorithmus. Eines Tages aber konnte ich durch die zu dünnen Wände meines Büros in Harvard die Worte »Klein’sche Gruppe« aufschnappen. Der Sprecher – wie sich herausstellte, ein Kollege, S.J. Patterson – behauptete, es bestehe wenig Interesse an dem Gegenstand. Ich überzeugte ihn davon, dass dieser Mangel an Interesse eine Überprüfung verdiene, und so wurde ein Seminar organisiert. Zum ersten Treffen kamen vielleicht 30 Leute!
Natürlich war Mumford anwesend; er wurde zum aktiven Unterstützer meiner Arbeit, und meine Assistenten brachten ihm (in Rekordzeit!) das Programmieren von Computern bei. Außerdem stellte ich ihm David Wright vor – den Studenten, den ich in dem Gespräch mit Patterson zufällig gehört hatte. Wright gab zu, als geschickter Programmierer Ferienjobs zu übernehmen. Er war jedoch der Ansicht, als graduierter Harvard-Student der Mathematik dürfe er diese Ketzerei nicht groß verkünden. Ich versicherte ihm, dass es vielleicht schon bald keine mehr sein würde. In der Tat erkannten viele – wenn auch gewiss nicht alle! – Mathematiker rasch und begeistert, wie stark Computer waren, und Mumford entfernte sich von der algebraischen Geometrie, einem Gebiet, auf dem er eine zentrale Rolle gespielt hatte. Auf dem Computer experimentierte er mit Klein’schen Gruppen, deren Strukturen reichhaltiger waren als jene der von mir betrachteten Gruppen. Eine seiner frühesten Illustrationen, die er bei einem seiner Besuche bei IBM umsetzte, erschien zuerst in Die fraktale Geometrie der Natur . Mittlerweile hat sich sein Interesse auf eine computergestützte Theorie des Sehens verlagert.
Im Zickzack durch den absolut ersten Kurs über Fraktale
Das erste Seminar zum Thema Fraktale – das ich im Frühjahr 1980 von einem Tag auf den nächsten improvisierte – war eng mit der fortlaufenden Forschung verbunden. Für die Teilnahme gab es keine Scheine, und die Hörer reichten von jungen Studenten bis zu gewieften Doktoranden.
Als Ergänzung des Seminars wünschte ich mir Live-Vorführungen, und man gab mir den Rat, den schon älteren Peter Moldave einzustellen. Wie sich zeigte, war er einer der besten Programmierhelfer, die ich je hatte. Der PC hatte die Welt noch nicht mit voller Kraft getroffen; keiner der Studenten hatte eine Ahnung, wie man ihn nutzen konnte oder welche Vorteile aus Grafiken zu ziehen waren. Peters Fähigkeiten als Programmierer sorgten da für eine Sensation. Überdies besuchte Peter in seinem letzten Semester keine schwierigen Kurse und erklärte, er würde sich sehr freuen, wenn er mir bei meiner Forschung assistieren könne. Seine Hilfe war entscheidend für die Entdeckung der Mandelbrot-Menge im Verlauf jenes Semesters.
Das Seminar zog sich zunächst bis zu den Frühjahrsferien müde dahin. Danach verwandelte es sich in etwas völlig anderes: in die erste öffentliche Diskussion über die Entdeckung jenes Objekts, das schließlich – gegen Ende dieses Jahres – als Mandelbrot-Menge bezeichnet werden sollte.
Letztlich hat es in Harvard nicht funktioniert. Man hatte von mir erwartet, ich würde auf meine Art weitermachen und unterrichten – auf der Basis von Computern. Doch damals waren Computer und ihre Anwendung in Harvard zutiefst suspekt. Daher fehlte es
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