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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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brauche einen scharfsinnigen, lebendigen Menschen, der nicht die allgemein üblichen Maßstäbe anlegt. Ich bin es leid, Sonja von einem Arzt zum andern zu schleppen. Die sagen alle dasselbe: Oligophrenie, unheilbar. Aber ich fühle, daß sie eine lebendige Seele hat, die man wecken kann. Dürfte ich Sie konsultieren?«
    »Ich bin noch nicht mal Feldscher«, antwortete Stenitsch, offenbar gerührt von der Offenheit des Unbekannten (und auch von der Schmeichelei, für die der Mensch so anfällig ist). »Zwar beschäftigt mich Herr Rosenfeld als Feldscher, aber eigentlich bin ich nur Krankenpfleger. Und ich arbeite ohne Gehalt, aus freiem Willen. Als Buße für meine Sünden.«
    Ach so ist das, dachte Anissi. Daher der fade Blick, daher die Demut. Ich muß die Linie ändern.
    Er sagte tiefernst: »Einen guten Weg der Buße haben Sie gewählt. Das ist besser, als in der Kirche Kerzen anzuzünden oder sich beim Beten die Knie wundzuscheuern. Gebe Ihnen Gott bald seelische Erleichterung.«
    »O nein, nicht bald!« rief Stenitsch mit unverhofftem Feuer, und seine bislang trüben Augen glühten leidenschaftlich. »Es soll schwer sein, es soll lange dauern! Um so besser! Ich … ich spreche selten mit Menschen, bin sehr verschlossen. Überhaupt habe ich mich daran gewöhnt, allein zu sein. Aber Sie haben etwas an sich, was Offenheit weckt. Und somöchte ich … Ich bin sonst immer nur für mich, es fehlt nicht viel, und ich drehe wieder durch.«
    Anissi staunte nur so. Es lebe die Wissenschaft des Chefs! Der Schlüssel paßte ins Schloß, und zwar so gut, daß die Tür ganz von allein aufsprang. Er brauchte nichts weiter zu tun, als zuzuhören und zuzustimmen.
    Die Pause beunruhigte den Pfleger.
    »Vielleicht haben Sie keine Zeit?« Seine Stimme zitterte. »Ich weiß, daß Sie Ihre eigenen Sorgen haben, da ist Ihnen sicherlich nicht nach fremden Offenbarungen zumute …«
    »Wer selber Sorgen hat, kann die eines anderen besser verstehen«, heuchelte Anissi. »Was bedrückt Sie? Mir können Sie es anvertrauen. Wir kennen uns nicht, wissen voneinander nicht einmal den Namen. Wir reden miteinander und sehen uns nie wieder. Was für eine Sünde lastet auf Ihrer Seele?«
    Für einen Moment hatte Anissi eine Vision: Gleich plumpst Stenitsch auf die Knie und ruft heulend: Verzeih mir Unseligem, guter Mann, eine schwere, blutige Sünde lastet auf mir, ich weide mit dem Skalpell Frauen aus. Das war’s, der Fall ist abgeschlossen. Tulpow erhält von der Obrigkeit eine Auszeichnung und, das Wichtigste, vom Chef ein Lob.
    Aber nein, Stenitsch plumpste nicht auf die Knie und sagte auch etwas ganz anderes: »Der Stolz. Mein ganzes Leben plage ich mich damit herum. Um ihn zu überwinden, bin ich hier und mache diese schwere, schmutzige Arbeit. Ich räume den Verrückten den Dreck weg, scheue keine Arbeit. Erniedrigung und Demut – das ist das beste Mittel gegen den Stolz.«
    »Dann sind Sie wegen des Stolzes von der Universität geflogen?« fragte Anissi, außerstande, seine Enttäuschung zu verbergen.
    »Was? Ach, von der Universität. Nein, das war etwas anderes … Gut, ich erzähl’s Ihnen, um meinen Stolz zu bezähmen.« Der Pfleger verfärbte sich, lief bis zum Scheitel rot an. »Ich hing früher noch einer anderen, schweren Sünde an, der Wollust. Das Leben hat mir geholfen, sie zu überwinden. In jungen Jahren war ich lasterhaft, nicht so sehr aus Sinnlichkeit wie vielmehr aus Neugier. Aus Neugier, das ist noch verwerflicher, nicht wahr?«
    Anissi wußte nicht, was er darauf antworten sollte, aber er brannte darauf, von dem Laster zu hören. Womöglich führte von der Wollust ein Faden zum Verbrechen?
    »Ich sehe in der Wollust überhaupt keine Sünde«, sagte er. »Sünde ist, dem Nächsten weh zu tun. Doch Wollust tut keinem weh, es sei denn, Gewalt ist im Spiel.«
    Stenitsch schüttelte nur den Kopf.
    »Ach, wie jung Sie sind, mein Herr. Dann haben Sie auch nicht von dem ›Sadoklub‹ gehört? Natürlich nicht, damals gingen Sie bestimmt noch aufs Gymnasium. Dieses Jahr im April ist es sieben Jahre her … In Moskau weiß überhaupt kaum jemand davon. Tja, in medizinischen Kreisen hat es viel Staub aufgewirbelt, aber aus diesen Kreisen sickert nichts durch, der Korpsgeist. Man trägt den Dreck nicht aus der Hütte. Mich freilich hat man hinausgetragen …«
    »Was war das für ein Klub?« stellte sich Anissi dumm, während er an die Relegierung wegen »Unsittlichkeit« dachte.
    Der Gesprächspartner lachte unangenehm.
    »Wir

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