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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Straße voranzukommen, auf der es von Männern, Frauen und Kindern wimmelt, die in ihrer Panik planlos umherrennen, in Wellen vor und zurück, im Takt mit dem Kampflärm ringsherum. Dort irgendwo macht die Kompanie halt.
    Was ist eigentlich geschehen? Nun, die Verfolgung der Österreicher durch die russische Armee südlich von Krakau wurde eingestellt. Der Grund sind Herbstschlamm, Nachschubprobleme (natürlich, so ist es fast immer, wenn schnelle und schöne Vorstöße plötzlich stocken) sowie unerwartet auftauchende deutsche Truppen.  14
    Ungefähr um zwölf Uhr ist Lobanov-Rostovskijs Kompanie umringt von «einem ganzen Feuerkreis». Immer noch weiß niemand, was geschieht. Nach den Geräuschen zu urteilen, wird auch hinter ihnen gekämpft, auf der Straße nach Sandomierz. Noch sind sie selbst nicht unter Beschuss geraten, aber die Explosionen detonierender Granaten kommen immer näher. Eine berittene Maschinengewehrabteilung zieht vorbei. Nach einer kurzen Unterredung mit einem unbekannten Stabsoffizier erhält Lobanov-Rostovskij den Befehl, das Kommando über die zwanzig mit Sprengstoff und anderer Ausrüstung beladenen Einspänner der Kompanie zu übernehmen und der Maschinengewehrabteilung nach hinten zu folgen, aus der Einkreisung heraus. Er bekommt zwanzig Soldaten zugeteilt. Der Rest der Kompanie bleibt, wo er ist.
    Lobanov-Rostovskij macht sich also auf den Weg: er zu Pferd, zwanzig Mann in zwanzig Einspännern mitsamt – welch Überraschung – einer Kuh, die eigentlich zum Mittagessen geschlachtet werden sollte, jetzt aber durch die unerwartete Wendung eine Gnadenfrist bekommen hat. Lobanov-Rostovskij ist unruhig, denn die Maschinengewehrabteilung bewegt sich auf ihren Pferden so schnell, dass sie nur schwer folgen können. Später wird er berichten: «Ich hatte keine Karten und nicht die geringste Vorstellung von der Lage oder wo ich mich befand.» Bei einer Brücke, vor der sich drei Straßen kreuzen, bleiben sie in einem gewaltigen Verkehrsstau aus Flüchtlingen, Vieh, Pferden und von Pferden gezogenen Sanitätswagen stecken, die mit Verwundeten beladen sind. Die Brücke wird von einem Flüchtlingskarren blockiert, der mit zwei Rädern über dem Wasser schwebt. Während Soldaten sich bemühen, ihn wieder auf die Brücke zu heben, beginnen über ihren Köpfen Schrapnells  15 zu explodieren:
     
Die Verwirrung unter den Bauern war unbeschreiblich. Frauen und Kinder schrien vor Schreck, Männer versuchten, ihre in Panik geratenen Zugtiere zu halten, und eine hysterische Frau klammerte sich an mein Pferd und rief: «Herr Offizier, wie kommt man am sichersten hier heraus?», was ich aus naheliegenden Gründen nicht anders beantworten konnte, als sehr allgemein in eine Richtung zu weisen. Ein Mann, der drei störrische Kühe vor sich hertrieb, konnte sie gerade rechtzeitig auf einen Nebenweg führen, um zu erleben, wie auch dieser von Granaten getroffen wurde. Er machte kehrt, nahm einen anderen Weg, der aber ebenso unter Beschuss lag, woraufhin er schließlich völlig die Fassung verlor und zurück zu seinem brennenden Dorf eilte.
     
    Nachdem er schließlich die Brücke passiert hat, findet Lobanov-Rostovskij die Straße voller fliehender Zivilisten samt ihren Karren, weshalb er seine kleine Gruppe stattdessen über die Felder lenkt. Die berittenen Maschinengewehrschützen verschwinden in der Ferne. Lobanov-Rostovskij hat erneut keine Ahnung, wo er sich befindet. Er versucht, sich am Kampflärm zu orientieren. Dann und wann schlagen um sie herum Granaten ein, hier und da Salven entfernter Maschinengewehre. Er kann nur raten, wie es weitergeht.
    Als sie unterwegs zu einer zweiten Brücke sind, detonieren einige Schrapnells dicht über der kleinen Kolonne. Der Mann an der Spitze lenkt vor Schreck seinen Pferdekarren mit höchster Geschwindigkeit den gefährlich steilen Hügel hinunter, der zu der Brücke führt. Um zu verhindern, dass sich Panik ausbreitet, holt Lobanov-Rostovskij den Mann ein und tut dann etwas, was er noch nie getan hat und bisher nicht einmal im Traum getan hätte: Er prügelt mit der Reitpeitsche auf den erschrockenen Soldaten ein. Die Ordnung wird wiederhergestellt; sie gelangen glücklich über den Wasserlauf und ziehen dann weiter auf dem Grund einer steilen Schlucht.
    In der Schlucht herrscht Chaos. Einige Artilleristen mühen sich ab, drei Kanonen zu bergen, die sich festgefahren haben. Verwundete strömen in zunehmender Zahl die Hänge herab, hinunter in Sicherheit;

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