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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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leicht ranzigem Fett zubereitet, an dem möglichst gespart wird; der unangenehme Geruch wird überdeckt, indem man sie mit Äpfeln und Zwiebeln kocht. Der Mangel an Fett hat eine Zunahme von Darmerkrankungen verursacht, und aufgrund der einseitigen Kost bekommen viele Männer Ödeme. Die Menschen in Deutschland haben im Durchschnitt zwanzig Prozent ihres Gewichtes verloren, und auch die meisten Matrosen auf diesem Schiff haben stark abgenommen. Stumpf selbst hat nur fünf Kilo eingebüßt, aber er bekommt ja auch Proviantpakete von den Eltern in Bayern.
    Uneingeschränkter U-Boot-Krieg? Warum nicht. Sollen die Engländer doch jetzt ihre Lektion lernen: «Es ist mein Wunsch, dass sie dort drüben die Wirkung des Hungers ebenso stark fühlen wie [unsere Leute] in Sachsen oder Westfalen.»

131.
    Mittwoch, 7. Februar 1917
    Alfred Pollard findet bei Grancourt einen Schützengraben voller Toter
     
    Ausnahmsweise zögert er vor dem Auftrag. Zum einen, weil er gerade erst von einem anderen zurückgekehrt ist. Der Oberst wartet schon ungeduldig am Rande des Schützengrabens, und Pollard hat noch nicht einmal Zeit, hinunterzuklettern, als der Alte ihm mitteilt, dass er wieder hinaus muss. Es ist etwa ein Uhr nachts. Der Befehl lautet, einen Spähtrupp in das Dorf Grancourt zu führen, «um jeden Preis». Zweimal wiederholt der Oberst diese ominöse Phrase «um jeden Preis». Es muss also wichtig sein. Das Fliegerkorps hat berichtet, die Deutschen hätten den Ort verlassen, und der Oberst will, dass ihr Regiment als erstes in das leere Dorf einzieht – aus Prestigegründen. Pollard zögert aber auch, weil er nicht weiß, wie er dorthin gelangen soll. Zwischen ihrer Position und Grancourt fließt der Fluss Ancre. Er fragt den Oberst, wie sie über den Fluss kommen sollen. Aber der antwortet nur kurz: «Das überlasse ich Ihnen, Pollard.»
    Es ist Vollmond, kalt. Die Erde ist mit Schnee bedeckt. Pollard und die vier Männer des Spähtrupps tasten sich einen Abhang hinunter. Sie erreichen einen verlassenen Schützengraben. Verlassen, aber nicht leer. Er ist voller Leichen von Soldaten einer anderen britischen Division, und als er die steifen, mit Schnee bedeckten Körper seiner Landsleute sieht, erinnert er sich, dass jemand von einem Zug in einer vorgeschobenen Stellung berichtet hat, der erst kürzlich von Deutschen überfallen und niedergemacht wurde – mit Bajonetten. Bis zum letzten Mann. Er hatte die Geschichte wieder vergessen. Es gibt so viele Berichte von ausgelöschten Einheiten und verschwundenen Zügen.
    Als sie sich gleich darauf weiter zum Fluss hinuntertasten, muss Pollard daran denken, wie er zum ersten Mal einen Schützengraben voller Toter gesehen hat. Es war bei seinem allerersten Angriff, an jenem heißen Tag bei Hooge im Juni 1915. Damals
     
war ich nur ein Junge, der das Leben mit Optimismus betrachtete und den Krieg als interessantes Abenteuer. Als ich dann die Körper dieser Hunnen sah, die unser Granatfeuer getötet hatte, war ich voller Mitleid mit diesen Kerlen, die in der Blüte ihrer Jahre ihr Leben verloren hatten. Jetzt war ich ein Mann und verstand, dass es lange dauern würde, bis der Krieg zu Ende war. Und ich erblickte einen Schützengraben voller Leichen, ohne überhaupt etwas zu empfinden. Weder Mitleid noch Angst davor, dass ich bald selbst tot sein könnte, noch Wut auf die Männer, die sie getötet hatten. Ich empfand wirklich gar nichts. Ich war nur eine Maschine, die ihr Bestes tat, um den Auftrag auszuführen.
     
    Im weißen Schnee findet Pollard Spuren des deutschen Trupps, der die Männer im Schützengraben überfallen hatte. Das erweist sich als Glücksfall, denn die Spuren führen ihn über einen gefrorenen Sumpf zum Fluss hinunter. Dort erreichen sie eine kleine, wacklige Brücke. Mit gezogenem Revolver kriecht er hinüber, als Erster – wie immer. Es ist still. Er winkt die anderen heran. Schritt für Schritt schleichen sie sich in das schneebedeckte Dorf. Wieder Stille. Die Berichte sind korrekt: Die Deutschen haben das Dorf verlassen.
***
    Was weder Pollard noch sonst jemand auf Seiten der Alliierten zu diesem Zeitpunkt weiß: Der deutsche Rückzug ist Teil einer Strategie, die den Zweck verfolgt, die Front zu begradigen. Weiter hinten liegen neue und gut befestigte Stellungen.

132.
    Freitag. 9. Februar 1917
    Olive King repariert in Saloniki ein Auto
     
    Beißender Februarwind. Ein Hauch von Schnee in der Luft. Noch ein Winter in Saloniki. Noch ein Winter in diesem

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